Wer hat Alice umgebracht?
andere Dinge, die nur mich etwas angehen.
Cameron nickte mir auffordernd zu. Er blieb draußen und lehnte sich gegen die Wand, während ich in die Telefonzelle ging und die Tür hinter mir zuzog. Ich warf das Geld ein und wählte die Nummer meiner Eltern. Natürlich kannte ich sie auswendig.
Das Freizeichen ertönte. Mein Herz klopfte so laut wie ein Schmiedehammer, der auf einen Amboss geschlagen wird. Mir lief der Schweiß in Strömen den Rücken herunter. Wenn meine Eltern nun gar nicht daheim waren? Wenn sie auf der kleinen Dorf-Polizeistation vernommen wurden, und …
„Duncan.“
Das war die Stimme meiner Mutter. Plötzlich hatte ich einen dicken Kloß im Hals. Fast glaubte ich, dass ich gar nicht sprechen könnte. Mom klang sehr angespannt. Wahrscheinlich machte sie sich die größten Sorgen um mich. Das hätte jedenfalls ich getan, wenn ich an ihrer Stelle gewesen wäre.
„Hallo? Wer ist denn da?“
Nun hörte sie sich schrill an, fast hysterisch. Wenn ich jetzt nichts sagte, würde sie auflegen, da war ich mir sicher. Und dann wäre ich das Risiko des Anrufs völlig umsonst eingegangen.
„Mom? Hier ist Lindsay.“
„Lindsay!“
Es klang wie der Schrei eines verwundeten Tieres. Schon bereute ich, dass ich meine Eltern überhaupt kontaktiert hatte. Aber sie mussten doch erfahren, dass ich lebte und dass ich nichts Unrechtes getan hatte – abgesehen davon, dass ich aus dem Gefangenentransporter abgehauen war.
Bevor ich zu Wort kommen konnte, redete meine Mutter weiter.
„Lindsay, Dad und ich stehen zu dir. Es ist uns egal, was du getan hast. Aber du musst dich der Polizei stellen, verstehst du? Wir besorgen dir einen Anwalt, wir tun alles für dich. Aber du darfst dich nicht länger verstecken. Vielleicht ist es ja Notwehr gewesen, dass du dieses Mädchen …“
„Ich habe niemanden getötet, Mom“, unterbrach ich sie. „Jemand will mir die Tat in die Schuhe schieben. Hör zu, ich muss jetzt Schluss machen. Es geht mir gut, ich melde mich wieder.“
Und dann hängte ich schnell den Hörer ein, weil ich so laut schluchzen musste. Es tat mir leid, dass meine Mutter wegen mir so beunruhigt war. Doch ich lebte ja noch, und vielleicht würde ich sogar aus dieser ganzen Sache halbwegs ungeschoren wieder herauskommen können. Die Hoffnung hatte ich jedenfalls noch nicht aufgegeben.
Cameron bemerkte natürlich sofort, wie mies ich mich fühlte. Als ich die Telefonzelle verließ, legte er den Arm um meine Schultern.
„Komm, wir knöpfen uns jetzt deine sogenannten Freundinnen vor. Hast du eine Ahnung, wo wir sie finden können?“
Ich nickte und trocknete meine Tränen. Es war gut, sich auf eine Aufgabe konzentrieren zu können. Ehrlich gesagt, drehte ich nach dem Telefonat mit meiner Mutter ziemlich am Rad. Doch nun musste ich mich zwingen, planvoll vorzugehen. Es brachte niemandem etwas, wenn ich in Hysterie verfiel. Am allerwenigsten mir selber.
„Heute ist Mittwoch, oder?“
„Yep.“
„Dann werden wir zumindest Allison im Uni-Sportzentrum finden, Cameron. Sie trainiert jeden Montag, Mittwoch und Freitag im Kraftraum, weil sie an den britischen Bodybuilding-Meisterschaften teilnehmen will.“
„Ernsthaft?“
„Ja, Allison ist wirklich ziemlich fit.“
„Okay, das Uni-Sportzentrum kenne ich. Das Gelände ist unübersichtlich. Wahrscheinlich werden wir es rechtzeitig bemerken, wenn deine Freundin eine Polizei-Leibwache hat. Wir müssen natürlich auf die Überwachungskameras aufpassen. Aber in der Damen-Umkleide werden wohl keine installiert sein.“
Ich lachte.
„Wollen wir es hoffen.“
Cameron schaffte es immer wieder, mich schnell aus meinen trüben Stimmungen zu reißen. Wir hatten beide den gleichen Humor. Es dauerte ziemlich lange, bis wir die Sportanlagen erreichten. Immerhin mussten wir ja zu Fuß gehen und jede Begegnung mit Streifenwagen vermeiden.
Zunächst blieben wir in Deckung und beobachteten, hinter einem geparkten Van versteckt, das Gelände. Einen Streifenwagen konnten wir nirgends entdecken, aber das musste ja nichts heißen. Doch es gab offenbar auch kein Auto, in dem Männer Wache schoben, die nach Zivilcops aussahen. Nachdem wir eine halbe Stunde gewartet hatten, beschlossen wir, es zu riskieren.
Cameron und ich wollten in das Gebäude eindringen. Eigentlich brauchte man dafür eine elektronische Schlüsselkarte. Aber ich schätze, das Sicherungssystem taugte nicht viel. Jedenfalls schaffte es Cameron, das Schloss mit einer ganz normalen Kreditkarte
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