Wer hat Alice umgebracht?
diesen Worten verschwand die Blonde im Kraftraum. Kurz hörte ich das dumpfe Geräusch, wenn jemand beim Kreuzheben die Langhantel auf den Boden fallen lässt. Außerdem erblickte ich einige Leute, die hart am Latzug oder am Butterfly trainierten. Aber ich konnte auf die Entfernung nicht erkennen, ob meine Freundin dort war. Der Kraftraum ist einfach auch groß und unübersichtlich. Dort können 50 bis 60 Leute gleichzeitig trainieren.
Nun begann für mich ein nervenaufreibendes Warten. Hatte ich mir vielleicht selbst eine Falle gestellt? Wenn Allison Lunte roch und den Sicherheitsdienst alarmierte, waren Cameron und ich geliefert. Aus diesem Gebäude würden wir nur sehr schwer wieder entkommen können. Die Cops mussten einfach nur anrücken und sämtliche Ausgänge besetzen. Dann konnten sie uns pflücken wie überreife Früchte.
Und selbst wenn Allison auf meine List hereinfiel – sie war ja viel stärker als ich. Nicht umsonst trainierte sie so hart mit den Gewichten. Ich stellte für Allison ganz sicher keine Bedrohung dar. Ich hatte ja noch nicht mal eine Waffe, obwohl mich ganz Glasgow für eine Mörderin hielt.
Warum sollte meine verräterische Freundin mir die Wahrheit sagen, anstatt mich zu überwältigen und die Polizei zu rufen? Plötzlich kam mir mein Plan, Allison und Fiona zur Rede zu stellen, gar nicht mehr so clever vor.
Doch nun war es zu spät, um noch einen Rückzieher zu machen. Die Tür zum Kraftraum flog nämlich auf, und die wütende Allison kam hereingestürzt. Zum Glück bemerkte sie mich nicht sofort, sondern schaute sich suchend um.
„Okay, wer hat hier meine Anziehsachen ruiniert? Ich – oh, Lindsay.“
Allison schloss die Tür von innen und lehnte sich dagegen. Ihr Gesicht, das noch einen Moment zuvor vom harten Training gerötet und schweißbedeckt gewesen war, wurde schlagartig kreidebleich. Nervös wischte sich Allison ihre Handflächen an ihrem ärmellosen Top ab. Ihre Brust hob und senkte sich unter ihren Atemzügen. Sie konnte mir nicht in die Augen sehen.
Immerhin sah es nicht danach aus, dass Allison mich angreifen wollte. Das war doch schon ein kleiner Erfolg. Inzwischen hatte ich gelernt, mich mit wenig zufriedenzugeben.
„Ja, ich bin’s, Allison. Ich bin auf der Flucht vor der Polizei, aber das wirst du bestimmt auch schon gehört haben. Kannst du dir denken, warum ich hier bin?“
Nervös knetete meine Freundin mit den Fingern der rechten Hand ihr linkes Gelenk. Es dauerte einen sehr langen Moment, bis Allison ihre Lippen öffnete.
„Lindsay, du musst unheimlich sauer auf mich sein.“
„Wärst du das nicht auch an meiner Stelle? Du und Fiona, ihr habt mich so richtig in die Pfanne gehauen. Willst du das vielleicht leugnen?“
„Aber die Cops haben doch auch die Mordwaffe mit deinen Fingerabdrücken darauf gefunden. Jedenfalls habe ich das gehört.“
Nun sah ich beinahe rot. Am liebsten hätte ich Allison eine Ohrfeige verpasst. Aber erstens war sie viel stärker als ich, und zweitens hätte mich das nicht weitergebracht. Schließlich wollte ich ja von ihr die Wahrheit erfahren. Und wenn ich sie schlug, konnte ich mir eine ehrliche Antwort wahrscheinlich abschminken. Also beherrschte ich mich, obwohl ich innerlich vor Wut kochte.
„Mordwaffe, ja? Nun, ich habe Alice nicht erstochen. Das weiß ich genau, und du weißt es auch!“
Allison wand sich wie ein Aal.
„Nein. Ich habe keine Ahnung, was zwischen dir und Alice gewesen ist, Lindsay.“
Meine Freundin hatte ein schlechtes Gewissen, das konnte ich ihr an der Nasenspitze ansehen. Allison war eigentlich okay, sonst wäre ich wohl kaum mit ihr befreundet gewesen. Ich traute ihr auch nicht zu, irgendwelche gemeinen Intrigen auszuhecken. Aber trotzdem war sie mir in den Rücken gefallen. Und dafür musste es einen Grund geben.
Ich trat einen Schritt auf Allison zu.
„Du und Fiona und ich waren zusammen auf der Piste, wir haben Party gemacht. Daran kann ich mich genau erinnern, auch wenn ich ein paar Cocktails intus hatte. Und trotzdem habt ihr beide die Polizei angelogen, als es um mein Alibi für die Mordnacht ging. Dafür muss es doch einen Grund gegeben haben!“
„Den gab es auch“, flüsterte Allison. Sie hielt den Kopf gesenkt. Momentan konnte ich mir nur schwer vorstellen, dass sie bei einem Bodybuilding-Contest Kraft und Selbstvertrauen ausstrahlen würde. Allison wirkte jetzt sehr schwach. Aber für mich war das gut, denn nun würde ich hoffentlich die Wahrheit erfahren.
„Nun rede
Weitere Kostenlose Bücher