Wer hat Alice umgebracht?
Handbewegung. Er würde nun seinen entscheidenden Trumpf ausspielen, das spürte ich genau. Und so war es auch. In der kurzen Zeit hatte ich erstaunlich viel über polizeiliche Verhörmethoden gelernt. Erst jetzt bemerkte ich eine Plastiktüte für Beweisstücke, die er vor mir auf den Tisch legte. Sie enthielt ein Messer. Plötzlich wurde mir ganz flau im Magen, mein Kreislauf spielte verrückt. Kennedy sprach langsam, und während er seine nächste Frage stellte, ließ er mich nicht aus den Augen. Detective Sergeant Cynthia Edwards beobachtete mich von der Seite. Ihr Gesichtsausdruck hatte etwa Hämisches an sich, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.
„Kennen Sie diese Waffe, Miss Duncan?“
Irgendwie schaffte ich es, eine halbwegs verständliche Antwort von mir zu geben.
„D…das ist keine Waffe, sondern ein Arbeitsmesser aus der Kunstakademie. Man benötigt es, um Stücke von Modellierton abzuschneiden. Sehen Sie, da ist ja noch ein wenig getrockneter Ton am Griff.“
„Es mag sein, dass dieses Messer ursprünglich wirklich nur als Werkzeug gedacht war. Aber es wurde als Mordwaffe benutzt, Miss Duncan. Durch diese Klinge hier musste Alice Wright sterben. Und am Griff befinden sich Ihre Fingerabdrücke! Wir haben soeben einen Abgleich vorgenommen.“
Bevor ich antworten konnte, musste auch noch Cynthia Edwards ihren Senf dazugeben.
„Warum gestehen Sie nicht endlich, Miss Duncan? Wir sehen Ihnen doch an, dass Sie Ihre Tat schon bereuen. Wahrscheinlich haben Sie einfach nur einen Moment lang die Nerven verloren. Sie machen auf uns nicht den Eindruck einer eiskalten Mörderin.“
„Ich war es ja auch nicht!“, rief ich unter Tränen. „Ich habe Alice nicht abgestochen, das müssen Sie mir glauben. Ich bin noch nie auch nur in dieser verflixten Pension in Easterhouse gewesen!“
Inspektor Kennedy klappte seinen Schnellhefter zu.
„Ich schlage vor, dass wir das Verhör zunächst unterbrechen. Unsere Kollegen von der Spurensicherung sind noch mit der Beweisaufnahme beschäftigt, außerdem werden noch weitere Zeugen gehört. Am besten machen wir morgen weiter.“
Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Momentan gelang es mir halbwegs, mich zusammenzureißen. Irgendwie konnte ich immer noch nicht begreifen, was mit mir geschah. War das hier vielleicht nur ein zweitklassiger TV-Krimi? War ich vor der Glotze eingepennt und würde gleich endlich aufwachen? Doch ich wusste selbst, dass das nur ein Wunschtraum war.
Detective Sergeant Cynthia Edwards machte eine auffordernde Handbewegung.
„Kommen Sie mit mir, Miss Duncan. Ich bringe Sie in eine Arrestzelle. Morgen früh schaffen meine Kollegen Sie ins Untersuchungsgefängnis. Nachmittags ist dann Ihr Haftprüfungstermin vor Gericht. Der Richter wird entscheiden, ob Sie in Untersuchungshaft bleiben. Wenn Sie einen Rechtsanwalt einschalten wollen, ist dafür jetzt der beste Zeitpunkt.“
„Ich kenne keine Juristen“, sagte ich mit tonloser Stimme. Plötzlich war ich nur noch wahnsinnig erschöpft.
„Dann sorge ich dafür, dass Ihnen ein Pflichtverteidiger zugeteilt wird.“
Vermutlich war das von der Kriminalistin nett gemeint, aber so richtig freuen konnte ich mich darüber nicht. Eigentlich hatte ich angenommen, dass Cynthia Edwards etwas gegen mich hätte. Aber letztlich machte sie nur ihren Job, genau wie Inspektor Kennedy. Ich versuchte, mich in die Polizisten hineinzuversetzen. Das war der beste Weg, um sie zu verstehen. Ich führte mir die Argumente vor Augen, die gegen mich sprachen.
Es gab keine Entlastungszeugen, die für mich aussagten. Die Rivalität zwischen Alice und mir war so gut wie jedem an der Kunsthochschule bekannt. Und – auf der Mordwaffe waren meine Fingerabdrücke! Hinzu kam, dass ich zur Tatzeit mehr oder weniger stark betrunken gewesen war. Ich wäre nicht die erste Person in Glasgow, die unter Alkoholeinfluss ein brutales Verbrechen beging.
Was hätte also ich gedacht, wenn ich anstelle der Kriminalbeamten gewesen wäre?
Cynthia Edwards führte mich in eine Zelle und schloss die Tür von außen. Der Raum roch nach Desinfektionsmitteln. Es gab eine Pritsche mit Matratze, Kopfkissen und Wolldecke, außerdem Toilette und Waschbecken aus Edelstahl und einen Hocker, der in der Wand verankert war, außerdem ein Tischchen, das ebenfalls befestigt war. Das war alles. Durch ein vergittertes Fenster von Schulheftgröße drang fahles Tageslicht herein. Ansonsten sorgte eine Neonröhre an der Zellendecke für
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