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Wer hat Angst vor Beowulf?

Wer hat Angst vor Beowulf?

Titel: Wer hat Angst vor Beowulf? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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so gut wie aussichtslos, denn die üblichen Hack- und Schlagtechniken bewährten sich nicht bei dem Heer der Zauberer. Aber vermutlich hatte ich Glück, oder mein Ahne Odin kam mir zu Hilfe. In einer Steinhütte in Orkney lebte ein Zauberer namens Kotkel, und er kannte ein paar Tricks, von denen der Feind nichts wußte. Er kam zu mir und erzählte mir, daß ich dem Gegner widerstehen, ihn vielleicht sogar besiegen könne, wenn ich eine Spange namens ›Glück von Caithness‹ finden würde. Sobald sich diese in meinem Besitz befinden würde, könnte ich wenigstens unter gleichen Bedingungen kämpfen. Zu dieser Zeit strömten alle Flüchtlinge aus den Heer der großen Könige in mein Reich, und so konnte ich mir die besten Krieger jener Tage frei auswählen: Ohtar und Hring; Brynjolf den Verwandler und Starkad Storvirksson; Angantyr und Bothvar Bjarki; Helgi, Hroar und Hjort; Arvarodd, der in Permia gewesen war und Riesen getötet hatte, und Egil Kjartansson, genannt der Tänzer. Ich sandte sie aus, die Spange zu suchen, und innerhalb eines Monats fanden sie die Reliquie. Dann kämpften wir gegen den Zauberer und wir haben gesiegt, und zwar in Rolfsness, nach einer Schlacht, die zwei Tage und zwei Nächte lang dauerte.
    Im letzten Augenblick ging allerdings etwas schief. Einer von uns – ich weiß nicht mehr, wer das war, aber das spielt jetzt auch keine Rolle – hatte dem König der Zauberer seinen Speer auf die Brust gesetzt, ließ ihn jedoch entkommen. Er konnte sogar entfliehen, obwohl sein gesamtes Heer mit seinen Berserkern, Trollen und Geisterkriegern völlig zerschlagen worden war. Trotz unserer Bemühungen hatten wir versagt, und da wir das wußten, taten wir alles Erdenkliche, um es wieder wettzumachen. Wir sammelten die Streitkräfte sämtlicher Königreiche des Nordens und begaben uns nach Geirrodsgarth, wo wir die Festung des Königs der Zauberer dem Erdboden gleich machten und die von ihm erschaffenen Wesen in ihren Schlupfwinkeln töteten. Wir suchten nach ihm unter jedem Stein, in jeder Scheune und auf jedem Heuboden, aber er war entkommen. Einige behaupteten, er sei auf dem Wind davongeritten und habe seinen Körper zurückgelassen, andere versicherten mir, er sei im Meer versunken.
    Dann kam der Zauberer Kotkel zu mir und gab mir einen zweiten Rat. Mir wurde klar, daß ich ihn befolgen mußte. Ich befahl, mein Langboot Naglfar auf das Schlachtfeld in Rolfsness zu bringen und in einem Grabhügel zu versenken. Während Kotkel seine Zaubersprüche aufsagte und Runen in die Träger und Balken der Grabkammer schnitzte, versammelte ich meine engsten Gefährten und führte sie in das Schiff. Dann sang der Zauberer ein magisches Schlaflied, und wir schliefen alle ein. Schließlich verschlossen unsere zurückgebliebenen Begleiter den Grabhügel. Jener letzte Zauber hatte eine ganz besondere Bedeutung – wir durften nämlich nicht vor jenem Tag erwachen, da der König der Zauberer wieder auf dem Gipfel seiner Macht sein und die Welt bedrohen würde. Dann sollten wir noch einmal gegen ihn in den Kampf ziehen, und zwar zur letzten Schlacht. Seit jener Zeit sind wir also in dem Grab gewesen, Hildy Frederikstochter. Eine sagenhafte Geschichte, wie? Oder gibt es darüber etwa keine Lieder? Nein? Das überrascht mich nicht. Ich glaube, die Leute haben das Interesse an Heldenepen verloren, seitdem der König der Zauberer darin vorkam – die meisten davon sind anscheinend ziemlich geschmacklos gewesen.«
    Eine Weile saß Hildy schweigend da und starrte direkt ins Feuer. Sie fragte sich, ob sie diese Geschichte glauben sollte oder nicht, selbst wenn sie draußen im Moor nachts an einem Feuer hockte. Zwar verdächtigte sie den König nicht der Lüge – sie glaubte an seine Existenz und auch daran, daß er gerade erwacht war, nachdem er zwölfhundert Jahre lang geschlafen hatte –, aber irgend etwas, das sich bemühte, in ihr lebendig zu bleiben, wehrte sich. Dieses Etwas sagte ihr, daß irgendeine, wenn auch nur zum Schein demonstrierte Skepsis notwendig war, um ihre Identität zu bewahren oder wenigstens bei Verstand zu bleiben. Wie die simple Lösung eines ermüdenden Puzzlespiels fiel ihr plötzlich ein, daß ihre Meinung gar nicht gefragt war, so wie sich Fleisch nicht unbedingt dazu bereit erklären muß, gebraten zu werden. Sie war in den Dienst eines mächtigen Herrschers getreten; ein Teil der Abmachung zwischen Herr und Untertan ist es, daß der Untertan die Pläne des Herrn nicht zu verstehen braucht,

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