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Wer hat Angst vor Beowulf?

Wer hat Angst vor Beowulf?

Titel: Wer hat Angst vor Beowulf? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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anderes als ein hundsgemeiner Narr, geblendet von Erzählungen und den langen Namen der Helden. Aber das kommt davon, wenn man Geschichten aus der Vergangenheit zuviel Beachtung schenkt; man will ihnen nacheifern und längst Vergangenes in die Gegenwart zurückbringen. Aber es gab niemals ein Zeitalter der Helden. Schon damals, als Sigurd den in einen Drachen verwandelten Fafnir im Teutoburger Wald tötete, wurden Lieder über die großen Helden und Zeiten gesungen, die niemals wiederkommen würden. Ich habe das Leben von vielen Bauernsöhnen vergeudet, die nicht warten konnten, bis die Gerste reif war, habe Heere in sinnlose Schlachten geführt und Feinde getötet, die es nicht wert waren, getötet zu werden. Was bedeuten schon all die Lieder, die man über mich zu schreiben und zu singen versprach, wenn ich erst einmal tot in der Grabhöhle liegen würde? Sie, Hildy Frederikstochter, haben geäußert, sämtliche Sagen unseres Volks gelesen und die ruhmreichen Heldentaten studiert zu haben. Gibt es eigentlich noch irgendein Lied über die Schlacht von Melvich oder den Kampf in Tongue, als ich Jarl Bjorn vor seinem eigenen Großmast erschlug?«
    Hildy wandte sich in einer Mischung aus Entsetzen und Verlegenheit ab und schwieg.
    »Man hat mir nämlich ein Lied versprochen«, fuhr der König fort. »Vielleicht ist ja wirklich eins verfaßt worden. Wenn nicht, ist es auch egal. Ich fand diese ganzen Lieder sowieso schon immer furchtbar langweilig. ›Die Flamme des Kriegs pfiff, und die Wölfe hielten ein Festmahl, als Hrolf der Schmächtige die Walstraße rot färbte.‹ Ich erinnere mich daran, daß die Pfeile stets die Sonne verdeckten, und der Dichter keinen Lohn erhielt, wenn nicht schon in der ersten Strophe mindestens einmal eine Klinge mit voller Wucht auf einen Helm eingeschlagen hatte.«
    Der König lächelte bitter und warf erneut Holz in das Feuer. Es knackte und wurde heller.
    »Dann wurde ich eines Tags verwundet, ziemlich schwer sogar. Schon seltsam, daß es kein großer Held oder ein Graf war, der mir damals diese Verwundung zufügte. Ein armseliger Krieger, dessen Schiff wir geentert hatten, war dafür verantwortlich. Ich erwartete von ihm, daß er stehenblieb und sich töten ließ, denn ich war ein Held, und er war nur ein Bauer. Aber vermutlich kannte er die Regeln nicht oder hatte zuviel Angst, um sie zu befolgen. Jedenfalls traf er mich mit seiner Axt an der Stirn – nicht mit einer Hellebarde mit Runen auf der Klinge, sondern mit einer ganz normalen Axt, die der Dorfschmied gefertigt hatte. Ich glaube, dieses Ding hat mir damals wenigstens ein bißchen Verstand in meinen Dickkopf hineingeprügelt, denn das war das Ende meiner Laufbahn als Seeräuber, obwohl ich wieder völlig gesund wurde. Ich kehrte nach Hause zurück und versuchte mich ernsthaft für profanere Dinge zu interessieren; zum Beispiel, ob die Leute genug zu essen hatten und die Straßen im Winter passierbar waren. Ich fürchte, das war eine große Enttäuschung für meine treuen Untertanen, sie hatten nämlich eine Vorliebe für blutrünstige Könige.
    Gerade als das Leben ein wenig Sinn zu ergeben schien und niemand mehr Lust hatte, uns zu überfallen, weil wir uns einfach weigerten, in den Kampf zu ziehen, geschah etwas oben im Norden in Finnmark, im Königreich von Geirrodsgarth, wo die Zauberer lebten. Ich glaube, sie hörten damals auf, sich gegenseitig zu bekämpfen, und schlossen ein Bündnis. Was auch immer der Grund war, plötzlich kreuzte jedenfalls ein ganzes Heer von unverwundbaren Berserkern auf den nördlichen Meeren. Sämtliche Krieger, die sogar zu bösartig waren, um Helden zu sein, hatten sich offensichtlich schon seit Jahren dorthin begeben, und der König der Zauberer stellte aus ihren Reihen ein Heer zusammen. Aber das war noch nicht alles. Er hatte Kobolde und erweckte Kreaturen zum Leben, die aus den Körpern von Toten gemacht waren, und die Seelen von Wölfen und Bären nahmen menschliche Gestalt an. Plötzlich wurde aus dem anfänglichen Spiel blutiger Ernst, und die Könige und Herzöge legten sehr schnell ihre Meinungsverschiedenheiten bei und boten jedem fachkundigen Zauberer hohen Lohn an, der sich auf militärische Magie spezialisiert hatte. Aber die meisten von denen hatten sich bereits dem Feind angeschlossen, und als die Schiffe von Geirrodsgarth vor den Küsten eines jeden Königreichs im Norden auftauchten, fanden bald Schlachten statt, über die sich niemand mehr Lieder ausdachte.
    Zu kämpfen war

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