Wer hat Angst vor Beowulf?
Lagerraum noch ein zweites Faß Met mit Haltbarkeitszauber geben müsse, und alle stürmten hinaus, um danach zu suchen.
»Die anderen sollten lieber nicht in der Festung bleiben«, gab der König gegenüber Hildy zu bedenken, als die letzten Helden die Kammer verlassen hatten. »Sie werden etwas zu essen jagen und Wasser suchen müssen, und ich hab hinten an der Straße zu viele Häuser gesehen. Ich werde sie in die Berge schicken.« Aus dem hinteren Vorratsraum drangen Flüche herüber; jemand hatte – damals im neunten Jahrhundert – den oberen Faßboden nicht richtig eingesetzt, und alles Met war trotz Haltbarkeitszauber verdunstet. Der König grinste. »Auf diese Weise haben diese Kerle wenigstens noch einen anderen Grund, worüber sie sich bis zu unserer Rückkehr beklagen können.«
»Meinen Sie, die kommen allein klar?« fragte Hildy skeptisch. »Ihre Männer scheinen mir nicht sonderlich praktisch veranlagt zu sein.«
Der König nickte. »Ich denke, schon. Nehmen Sie zum Beispiel Angantyr Asmundarson. Um rechtzeitig zum Appell in Melvich anzutreten, marschierte er die ganze Nacht von Brough Head nach Burwick. Das heißt, er mußte zunächst die beiden Hauptinseln vollständig durchqueren, und da kein Boot zur Verfügung stand, schwamm er während eines Sturms von Burwick zum Festland. Danach lief er den ganzen Weg von Duncansby Head bis nach Melvich zu Fuß, und zwar am Morgen vor der Schlacht, um dann in der ersten Reihe gegen die steinernen Trolle von Finnmark zu kämpfen. Natürlich beschwerte er sich bitterlich über seine nasse Kleidung und klagte, er werde an Lungenentzündung sterben, aber so ist er nun einmal.« Der König hielt kurz inne und betrachtete gedankenversunken seine Fingernägel. »Ich meine, in gewisser Weise spricht das natürlich auch für Ihren Einwand. Denn nur ein kompletter Vollidiot würde sich freiwillig solchen Schwierigkeiten aussetzen, um an einer Schlacht teilzunehmen. Und jetzt kommen Sie, es wird Zeit, daß wir aufbrechen.«
Thorgeir Sturmhund spürte das Alter, und da er kurz vor seinem tausenddreihundertsten Geburtstag stand, war das ein durchaus ernstzunehmendes Problem. Er sann darüber nach, daß er lange Reisen nicht mehr wie früher wegstecken konnte, als für ihn ein Flug von Oslo nach Thingvellir etwas ganz Alltägliches gewesen war – wobei er stets unbequem zwischen den Schulterblättern der riesigen Möwe gehockt hatte, die von seinem Arbeitgeber eigens für ihn entwickelt worden war.
Auch heute war er alles andere als faul gewesen. Nach der anstrengenden Reise mit Zug, Auto und Helikopter, dem Gespräch mit Danny Bennett und der Gefangennahme der beiden chthonischen Geister war er rasch nach Rolfsness zurückgekehrt, um das Gelände zu räumen, auf dem sich Professor Wood und sein Archäologenteam aufgehalten hatten. Deshalb glaubte er, eigentlich eine Pause verdient zu haben. Aber jetzt war er schon wieder in London, und der Zaubererkönig hatte wieder einmal schlechte Laune – wie immer, wenn der knifflige Teil eines Vorhabens bevorstand.
Die beiden Geister waren in einem zauberspruchdichten Gefäß aus Acrylglas sicher eingesperrt, und den Professor hatte man im Britischen Museum kaltgestellt, wo er zum x-tenmal über altnordischen Texten brütete, für den Fall, daß irgend etwas übersehen worden war. Trotzdem war der Professor ein nützlicher Mann – ein Beweis, welch praktischen Nutzen die kommerzielle Förderung archäologischer Studien haben kann. Natürlich handelte es sich um eine glückliche Fügung des Schicksals, daß ein launischer und örtlich stark begrenzter Sturm das Ausgrabungsgelände bei Rolfsness noch immer zu überschwemmen drohte. Dem Ausgrabungsteam war nichts anderes übriggeblieben, als den Grabhügel zu verschließen und die Zelte abzubauen, aber schließlich nannte man Thorgeir nicht umsonst Sturmhund. Er war froh, daß er auf diesem Spezialgebiet der alten Magie immer noch in Übung war, obwohl ihm sein Fachwissen während der vergangenen tausend Jahre fast ausschließlich bei Wetten über einen vorzeitigen Abbruch von Kricketwettkämpfen dienlich gewesen war, indem er die Spiele buchstäblich ins Wasser hatte fallen lassen. Er lehnte sich im Sessel zurück und kramte in den Papieren auf seinem Schreibtisch herum. So wie er ein Zauberer aus dem finsteren Mittelalter war, galt er heute als einer der wichtigsten Manager in einem der größten multinationalen Konzerne, und während seiner Abwesenheit hatte sich eine
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