Wer hat Angst vor Jasper Jones?
diese Geste ist mir zu intim.
Aber wenn wir diese Stadt hinter uns lassen wollen, werden wir drei fest zusammenhalten müssen. Wir müssen es irgendwie hinbekommen. Ich drehe mich zu Jasper um.
«Hör mal, Jasper. Wenn du Corrigan verlässt, werden wir wohl mit dir kommen. Ich denke, wir gehen auch.»
Zuerst scheint es, als hätte Jasper mich nicht gehört, doch als ich es gerade noch einmal sagen will, setzt er sich auf. Seine Stimme ist ruhig und gelassen. Er hört sich müde an.
«Ihr macht was?»
«Wir gehen auch von hier weg, Eliza und ich. Mit dir. Was weiß ich, in die Großstadt vielleicht. Wohin auch immer. Wir finden schon was. Wir können es schaffen, das weiß ich.»
«Ihr beide? Verdammt, Charlie, ihr seid nicht ganz bei Trost. Das kommt nicht in Frage. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ihr tickt doch nicht richtig.»
«Aber warum? Warum sollen wir nicht auch gehen?» Pikiert stütze ich mich auf die Ellbogen und störe damit Eliza. Jasper drückt seine Zigarette aus und steckt den Stummel ein. Dann zündet er sich eine neue an, wobei er sich reichlich Zeit lässt.
«Denk doch mal nach, Kumpel. Wenn ihr beide plötzlich verschwindet, ohne jemandem Bescheid zu sagen, was glaubst du wohl, was dann passiert? Du hast es doch bei Laura gesehen: die Polizei, die Suchpatrouillen, die Nachrichten und all das. Meinst du nicht, dass dann der ganze Zirkus von neuem losgeht? Es wäre sogar noch schlimmer, wenn ihr zu zweit seid. Ihr würdet nicht mal aus dem Bezirk rauskommen, ehe sie euch wieder in die Stadt zurückverfrachten. Und wenn ihr mit
mir
zusammen seid, Himmelarsch, dann kriegen sie mich wahrscheinlich wegen Entführung dran.»
«Schon, aber …»
Jasper hält einen Finger hoch.
«Aber das setzt voraus, dass ihr keiner Menschenseele was davon erzählt. Denn wenn ihr es tut, bezweifle ich stark, dass auch nur einer von euch noch einen Schritt vor die Tür machen darf. Und du schon gar nicht.» Er nickt Eliza zu.
«Und was ist mit dir?», frage ich.
«Mit mir? Was soll mit mir sein?», fragt Jasper spöttisch.
«Was glaubst du, was passiert, wenn du einfach verschwindest?»
Lächelnd nimmt Jasper einen tiefen Zug von seiner Zigarette.
«Das wirst du schon sehen, wenn es so weit ist, Charlie. Wart’s einfach ab und vertrau mir.»
«Was? Was passiert dann?»
«Vertrau mir einfach. Du weißt schon, was ich meine, Charlie. Das hier ist was, was
ich
tun muss. Nicht du. Und das ist nicht böse gemeint. Es ist bloß keine gute Idee, Kumpel. Du bleibst besser hier. Das gilt für euch beide. Tut mir leid.»
Und mir nichts, dir nichts bin ich entlassen. Ich komme mir ein wenig albern vor, gedemütigt, vielleicht sogar ein bisschen verraten. Ich hatte gedacht, wir wären Freunde, Partner.
Eliza berührt meinen Arm.
«Er hat recht, Charlie.»
Stirnrunzelnd schaue ich sie an.
«Wir können hier nicht weg, du und ich.»
«Aber ich dachte, das wolltest du», sage ich. Sie seufzt.
«Ich wollte nur wissen, ob du es tun
würdest
. Mehr nicht. Das reicht mir. Wir können nicht fort. Nicht jetzt jedenfalls.»
Mit einem langsamen Nicken wende ich den Kopf ab. Wieder wird es still. Mir ist nicht klar gewesen, wie sehr ich darauf gebaut hatte, aus Corrigan zu verschwinden. Es hätte so viele Probleme aus der Welt geschafft, dass die Vorstellung hierzubleiben mich plötzlich mit Bangigkeit erfüllt. Ich habe das Gefühl, dass alles auf mir abgeladen wird, und das erscheint mir nicht richtig. Jasper sollte mir diese schwere Bürde nicht allein überlassen.
«Und was machen wir jetzt? Jetzt, wo wir Bescheid wissen? Was passiert jetzt?»
Jasper zupft an seinem Ohr.
«Keine Ahnung, Charlie. Wirklich nicht. Aber lass mich nur machen. Ich denke mir was aus. Mir fällt schon was ein.»
Eliza setzt sich auf und zupft am Gras.
«Ich werde es ihnen erzählen», erklärt sie.
Jasper richtet sich auf.
«Wem?»
«Allen», erwidert sie. «Der Polizei, der Stadt, einfach allen. Es muss sein. Sie suchen immer noch nach Laura und verzetteln sich immer mehr. Weil sie hier ist, auf dem Grund des Sees. Und wir kennen die Wahrheit.»
«Und was willst du ihnen erzählen?» Jaspers Stimme klingt unsicher.
«Die Wahrheit! Ich muss ihnen die Wahrheit erzählen!»
Mit resigniertem Gesichtsausdruck schließt Jasper die Augen.
«Das kannst du nicht machen», sagt er.
«Ich muss! Warum sollte ich es nicht tun?»
«Weil dann alles umsonst gewesen wäre. Weil das, was Jasper gemacht hat, einfach nicht geht.
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