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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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es mir leichter, meine eigenen beiseitezuschieben, die zu Hause auf mich warten.
    Angesichts der Tatsache, dass meine Mutter gestern Abend auf dem Rücksitz unseres Autos ein für alle Mal ihr Züchtigungsrecht verloren hat, ist meine geringste Sorge, abermals beim Wegschleichen erwischt zu werden. Außerdem habe ich das Gefühl, dass mein Vater andere Sorgen im Kopf haben wird. O ja, da braut sich ein Mordssturm zusammen. Das ist sicher. Und ich muss mitten hineinmarschieren. Ich kratze mich unter dem Arm. Der Ausschlag sieht rot und entzündet aus. Der Busch ist wie eine verborgene Schalttafel, auf der es emsig klickt und summt, und ich marschiere auf direktem Weg zurück ins Hornissennest. Ich kenne jetzt die ganze traurige Wahrheit. Über Jasper, über Laura und über meine Mutter. Alles ist ans ans Licht gekommen, alles wurde aufgedeckt und lastet so schwer auf meinen Schultern, dass ich zu erschöpft bin, um Angst zu haben.
    Ich will mich mit Eliza wieder hinlegen. Will mit Jasper Jones am Whiskey nippen, und sei es nur, um die Flasche an die geschlossenen Lippen zu halten und so zu tun, als ob. Ich will mir von ihm Zigaretten geben lassen und mit ihm darüber reden, wie groß die Welt ist und wie klein wir sind und wie leicht man das umkehren kann, wenn man es einfach darauf ankommen lässt und richtig auf die Kacke haut. Ich will, dass es so einfach ist. Er soll mir die Brust mit Luft füllen, wie bei einer Mund-zu-Mund-Beatmung, und ich will Eliza damit kluge und tröstliche Dinge sagen, solange sie mich lässt.
    Selbst als wir zur Straße kommen, behalten wir die Reihenfolge bei. Wahrscheinlich hängt jeder seinen eigenen Gedanken nach. Wir marschieren wie Soldaten mit schwerem Gepäck.
    Neugierig bleiben wir vor Jack Lionels Gatter stehen. Eliza runzelt die Stirn und verscheucht eine Fliege. Jasper legt den Daumen auf den Riegel und kratzt sich am Hinterkopf, während er zum Cottage hinüberschaut.
    «Weiter komm ich nicht mit. Ich geh zu ihm rein. Ich muss mit dem alten Mann noch mal reden. Rausfinden, was stimmt und was nicht. Ich muss es noch mal mit eigenen Augen sehen.»
    Ich nicke.
    «Ihr beide geht weiter. Vielleicht macht ihr lieber einen Umweg, wenn ihr nicht erwischt werden wollt. Wahrscheinlich suchen sie euch schon.»
    Eliza legt den Kopf schräg.
    «Moment. Du willst da hineingehen? Warum? Weißt du, wer dort wohnt?»
    «Jetzt schon.»
    Verwundert schüttelt Eliza den Kopf.
    «Hör mal», sage ich. «Hast du mit deinem …»
    «Nö», sagt Jasper. «Er war gar nicht da. Anscheinend hat er sich schon wieder aus’m Staub gemacht. Hat nicht mal seine Tasche ausgepackt. Keine Ahnung, wo er hin ist.»
    «Warum ist er dann überhaupt zurückgekommen?»
    «Ist mir auch schleierhaft.»
    Jasper zuckt die Achseln. Wir trödeln herum. Er drückt gegen das Gatter, das wie eine Sirene kreischt. Es schwingt auf und bleibt stehen. Dann kommt Jasper auf mich zu. Er legt mir die Hand auf die Schulter und schaut mir so tief in die Augen, dass ich den Blick nicht abwenden kann. Er riecht nach Tabak und Schweiß.
    «Danke, Charlie.»
    «Schon gut.» Ich werde rot.
    Er sucht in seiner Hosentasche nach einer Zigarette, zündet sie an und betrachtet Eliza mit schmalen Augen. Dann entschuldigt er sich noch einmal bei ihr, im Flüsterton, doch man merkt, dass es von Herzen kommt. Mir schüttelt Jasper kräftig die Hand und zwinkert mir zu.
    «Mach’s gut», murmelt er mit der Zigarette zwischen den Lippen.
    Mehr sagt er nicht. Dann dreht er sich um. Ich wische mir die weißen Pollen von den Brillengläsern und sehe über Jaspers Schultern, dass Lionel auf der Veranda wartet. Er trägt blaue Shorts und ein weißes Unterhemd und steht kerzengerade da.
    «Ist das Mad Jack Lionel?», fragt Eliza.
    «Höchstpersönlich», sage ich und schaue zu, wie Jasper den geschotterten Fahrweg entlanggeht und dabei mit der flachen Hand über die Köpfe der hüfthohen Unkräuter streicht, dass die Pollen auffliegen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich ihn zum allerletzten Mal sehe.

    Unter den Papierborkenbäumen im tiefen, feuchten Grasland, wo sich das Flussufer der Stadt zuwendet und meine Mutter sich von mir und meinem Vater abgewandt hat, sehen wir Autos zwischen den Bäumen vorbeisausen. Zwar ist es nur ein gelegentliches Funkeln, wenn die Morgensonne auf eines der Wagenfenster fällt, dennoch habe ich den Eindruck, dass mehr Verkehr herrscht, als man an einem Neujahrstag erwarten würde.
    Als wir an der Kreuzung, die

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