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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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entlang. Das hier ist der alte Teil der Stadt, in dem es viele zweistöckige Häuser gibt, mit großen Bäumen davor. Es ist der einzige Teil von Corrigan, in dem sich so etwas wie Klassenunterschiede andeuten. Heute allerdings ist es unheimlich still. Keine Autos, die an uns vorbeisausen, und nirgendwo Kinder oder Haustiere.
    «Magst du Audrey Hepburn?», frage ich Eliza.
    «O ja. Sehr.» Eliza leuchtet förmlich auf. «Ich finde sie
genial
. Und hübsch. Sie ist so … würdevoll. Magst du sie?»
    «Machst du Witze?» Ich bin froh über ihre Begeisterung. «Sie ist schön. Wunderschön. Umwerfend. Einfach perfekt. Sie ist meine absolute Lieblingsschauspielerin. Glaubs mir.»
    Eliza lächelt. Ich hoffe, ich habe es nicht übertrieben. Ich kann meine Hände nicht unter Kontrolle halten. Sie flattern herum, als gehörten sie nicht zu mir. Ich muss aussehen, als wollte ich mich in meine Einzelteile auflösen. Ich rede weiter.
    «Und Talent hat sie auch. Natürlich. Völlig klar. Ich meine, sie ist nicht einfach nur
hübsch
. Sie ist auch klug. Ich mag sie wirklich. Unbedingt.»
    Eliza sieht amüsiert aus.
    «Hast du
Frühstück bei Tiffany
gesehen?» Sie hebt den Kopf und kneift bei der Frage die Augen ein wenig zusammen.
    «Äh, nein. Noch nicht.»
    «Wirklich? Das solltest du aber. Welche Filme dann?»
    Mist. Jetzt sitze ich in der Falle. Welche Filme dann, Charlie? Du Idiot.
    «Hm, äh, also, mein Lieblingsfilm ist wahrscheinlich … das ist … Der letzte, mit …», stammele ich.
    «Rex Harrison?»
    «Ja, genau!» Ich platze fast vor Erleichterung. «Ich kann mir Namen nicht gut merken.»
    «My Fair Lady»
, sagt sie, und ich könnte sie küssen.
    «Genau der!», sage ich. «Sie war wirklich unglaublich.»
    «Liegt das vielleicht daran, dass sie da Eliza heißt?»
    «Oh. Äh, ja klar», sage ich und werde rot.
    Eliza schaut lächelnd zu Boden. Ich will unbedingt weg von diesem Thema. Wir gehen eine Weile schweigend weiter.
    Dann biegen wir in die Sullivan Street ein, in der es deutlich geschäftiger zuzugehen scheint. Die Rasenflächen sind üppig, dicht und gut gepflegt, und zwei Reihen beschnittener Weidenmyrten ziehen sich die Straße entlang. Eliza wird langsamer.
    «Du hast es sicher schon gehört, oder?», fragt sie leise.
    Mein Magen zieht sich zusammen, und ich verkrampfe mich. Ich weiß nicht genau, was ich sagen soll. Mir bleibt die Luft weg, und das vertraute Schwindelgefühl kehrt zurück. Ich möchte wegrennen.
    «Nein. Was denn?»
    «Meine Schwester wird vermisst. Seit gestern. Wir wissen nicht, wo sie ist.»
    Ich gebe keine Antwort. Wenige Häuser von ihrem eigenen entfernt bleiben wir stehen und ducken uns unter einen Baum. Wir spähen durch das dünne Geäst der Weide. Im gesprenkelten Schatten sieht Eliza sehr klein aus.
    «Meine Eltern sind am Durchdrehen. Jedenfalls meine Mutter. Sie kann gar nicht mehr aufhören, zu zittern und zu weinen. Mein Dad gibt sich ganz normal, das heißt, er stinkt nach Bier und schreit rum, du weißt schon.»
    Ich kann nicht sprechen. Mein Mund ist zu trocken.
    «Die Polizei war den ganzen Vormittag über da. Deshalb musste ich mich rausschleichen. Ich hasse es, sie im Haus zu haben.»
    «Haben sie …» Ich räuspere mich. «Haben sie eine Ahnung, wo sie sein könnte?», frage ich und spüre ein Brennen im Nacken, als hätten sie mich schon erwischt.
    «Nein», erwidert sie. Ihr Tonfall klingt merkwürdig. Als beschriebe sie eine fremde Familie. Kein Anzeichen von Panik. Keiner von uns kann dem anderen in die Augen blicken. Eliza schaut zu Boden, und ich sehe über ihre Schulter. «Nein, sie wissen eigentlich gar nichts. Sie werden bald mit der Suche anfangen. Irgendwann heute Nachmittag. Ich glaube, sie nehmen auch ein paar Leute aus dem Ort mit, und es sollen spezielle Polizisten aus der Stadt kommen.»
    «Oh, ach so. Mein Gott. Eliza, das ist ja schrecklich. Du musst doch … geht es dir gut? Weißt du, wo sie sein könnte?»
    Ich sollte ihr die Hand auf die Schulter legen. Oder ihr über den Rücken streicheln. Oder irgendetwas Tröstliches sagen. Doch das würde sich abgedroschen und dumm anhören. Und unaufrichtig. Weil ich genau weiß, wo ihre Schwester ist. Weil Eliza Wishart Kummer hat und ich lediglich versuche, mich zu schützen. Ich fühle mich wie ein elender Heuchler!
    Ehe sie antworten kann, wird die Straße von einem gellenden Schrei erschüttert. Es ist Elizas Mutter, die mehr oder weniger rennend auf uns zukommt. Ihr Gesicht ist rot, und

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