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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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Augen. Als ich überzeugt bin, dass sie fort ist, klettere ich langsam aus dem Loch und schniefe. Mit Blei im Herzen und in den Beinen starre ich wütend vor mich hin und schaufle die Erde wieder hinein, während ich sie leise verfluche und vor mich hin murmele, dass ich ihren hässlichen Quadratschädel in dieser Grube der Ungerechtigkeit am liebsten gleich mit vergraben würde.
    Natürlich ist sie noch nicht verschwunden, und natürlich hat sie jedes meiner giftgetränkten Worte mit angehört. Das wird mir in dem Moment klar, als mich eine Hand im Nacken packt und zudrückt, als wolle sie mir das Hirn aus dem Schädel quetschen. Ihre Nägel sind rasiermesserscharf. «Du bist ein
sehr
ungezogener Junge!», zischt sie mir ins Ohr.
    Damit schubst sie mich auf den Erdhügel, auf den ich so stolz gewesen war. Die Erde ist weich und kühl und nachgiebig. Ich kauere mich zusammen, um mich vor ihr zu schützen, doch sie schlägt mich nicht. Sie schnappt sich lediglich den Spaten und marschiert damit zurück zum Haus.
    «
Jetzt
kannst du es auffüllen!»

    Es ist fast dunkel, als mein Vater in den Garten hinausschlurft. Ich bin so gut wie fertig, von Kopf bis Fuß verdreckt und so erschöpft, dass ich jedes Mal aufstöhne, wenn ich mit den Handflächen weitere Erde ins Loch schiebe.
    «Okay, das reicht, Charlie. Komm jetzt.»
    Ich schaue nicht auf. Ich arbeite weiter, um meinem Ärger Ausdruck zu verleihen.
    «Hast du mich gehört, Charlie? Ich habe gesagt, du sollst aufhören. Wir räumen das später weg.»
    Ich will weitermachen, aber ich kann nicht mehr. Ich sitze auf den Knien und ruhe mich aus.
    «Was, um alles in der Welt, ist nur mit dir los, mein Freund?», fragt er. Ich beginne auf der Stelle abzuwehren.
    «Nichts, keine Ahnung. Warum?»
    «Nun», sagt er mit unendlicher Geduld, «weil du ein kluges und vernünftiges Kind bist.»
    «Ich bin kein Kind mehr. Ich werde bald vierzehn», unterbreche ich ihn, auch wenn ich nicht genau weiß, warum.
    «Gut. Ja. Genau. Trotzdem habe ich dich noch nie so fluchen hören, schon gar nicht vor deiner Mutter. Außerdem hast du noch nie eine strikte Anweisung missachtet. Das ist ungewöhnlich, findest du nicht?»
    Ich will, dass er weiter so mit mir redet. Wie ein Altersgenosse. Ein Kollege. Wie mit jemandem, der klug genug ist, um Schritt zu halten.
    «Hör mal, Charlie», fährt er fort. «Wenn du heute in die Stadt gehen musstest, hättest du einen von uns fragen sollen. Findest du nicht? Das hätte uns eine Menge Kummer erspart. Vor allen Dingen dir, so wie es aussieht.» Er deutet auf das aufgefüllte Erdloch.
    «Das ist es nicht», platze ich heraus, schweige aber gleich wieder. Am liebsten würde ich ihm alles erzählen, damit er sich darum kümmern kann. Doch dann schüttle ich hastig den Kopf. «Vergiss es.»
    «Deine Mutter macht sich Sorgen, Charlie. Und das kannst du ihr nicht zum Vorwurf machen. In gewisser Weise sind wir beide besorgt. Es ist etwas äußerst Beunruhigendes passiert. Du hast von Laura Wishart gehört. Niemand weiß genau, was im Moment vor sich geht. Also versuchen wir in der Zwischenzeit das Richtige zu tun, indem wir so gut auf dich aufpassen, wie wir können. Höchstwahrscheinlich ist alles ganz harmlos, Charlie. Das hoffe ich jedenfalls. Aber du verstehst doch, warum wir im Moment lieber vorsichtig sein wollen?»
    Warum muss er so vernünftig sein? Warum muss er sich so gut ausdrücken? Er hätte Anwalt werden sollen wie Atticus Finch. Aber dann würde er für Dinge einstehen müssen.
    Ich schlage die Augen nieder. Das ist alles andere als fair, aber es kümmert mich nicht. Ich bin wütend. Und alles schmerzt.
    Seufzend geht er in die Knie.
    «Die Welt scheint sich zu verändern, Charlie. Es ist nicht mehr so wie zu meiner Zeit. Sie fängt wirklich an, sich zu wandeln. Selbst hier.»
    «Da hast du recht», sage ich bitter.
    «Viele Leute haben Angst. Vor allem jetzt, wo Laura vermisst wird. Hier ist vieles im Gange.»
    Es kommt nicht häufig vor, dass er so mit mir redet. Beim letzten Mal überließ er mir die goldene Eintrittskarte zu seiner Bibliothek. Ich fühle mich verlegen, aber auch ein bisschen froh. Ich weiß nicht genau, was ich antworten soll. Also nicke ich.
    «Auf jeden Fall», sagt er und stemmt sich in die Höhe, dass seine Knie knacken, «hat deine Mutter gerade verkündet, dass du heute kein Abendessen bekommst. Sie wird dich davon in Kenntnis setzen, sobald du reinkommst. Ich würde dir vorschlagen, nicht zu widersprechen,

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