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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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hinterher keine Fragen. Der Stapel enthielt auch ein neues Buch von Truman Capote. Ich versuchte es zu lesen, doch es gelang mir nicht. Es ging einfach nicht. Sobald ich es aufschlug, hatte ich das Gefühl, mir würden Insekten über Kopf und Hals krabbeln.
    Die meiste Zeit verbrachte ich damit zu schreiben. Es war fast eine Art Zwang. Tag und Nacht. Das Schreiben leistete mir Gesellschaft. Genau wie das Lesen ermöglichte es mir, das Haus zu verlassen, ohne dass sie mich an der Tür aufhalten konnten.
    Obwohl es nur zu funktionieren schien, solange ich es tat. Wie wenn man in einem Eimer Wasser einen Schwamm ausdrückt. Sobald man ihn loslässt, saugt er sich wieder voll.
    Manchmal, wenn ich erschöpft den Stift sinken ließ und die Augen schloss, fand ich mich in meinem sanft erleuchteten Ballsaal in Manhattan wieder. Ich habe Eliza am Arm, an deren behandschuhter Hand ein unverschämt großer Verlobungsring prangt. Wir bahnen uns einen Weg über die Tanzfläche, nehmen kopfnickend die Glückwünsche irgendwelcher Gratulanten entgegen und das ehrfürchtige Winken der Journalisten, deren lästige Bitten um Exklusivaufnahmen wir höflich ablehnten. Hinter einer Gruppe elegant gekleideter Herren halten wir inne und hören zufällig ihr Gespräch mit an. Eliza lächelt verschämt, weil sie sich über meinen neuesten Roman unterhalten. Ein breitschultriger Mann, der mir den Rücken zugewandt hat, preist mein Werk. Ich erröte und will mich zurückziehen, als sich der bärtige Mann mit hochgezogenen Augenbrauen umdreht. Es ist Ernest Hemingway. Wir sind gleich groß, haben die gleiche Augenfarbe, und er neigt respektvoll den Kopf.
    «Papa», sage ich und lächele. Er klopft mir auf die Schulter, fährt mit dem Daumen über meinen Haarwirbel und sagt mir, wie stolz er auf mich sei.

    Meine neuen Flipflops scheuern zwischen den Zehen, doch das ist mir egal. Ich bin viel zu glücklich darüber, mit ihnen irgendwohin gehen zu dürfen. Es ist ein tolles Gefühl, endlich meine Sandalen los zu sein. Ich halte das Gesicht aus unserem Wagenfenster wie ein Hund und sauge heiße Luft und Freiheit ein. Ich trage mein neues Karohemd, fühle mich sauber, frisch und neu. Erfüllt von der Begeisterung, draußen zu sein.
    Ich schaue nach rechts. Mein Vater lässt beim Fahren den Arm aus dem Fenster baumeln und summt. Er und ich haben nie richtig über die Nacht gesprochen, in der sie mich erwischt haben, aber sein Verhalten mir gegenüber hat sich geändert. Er ist ein bisschen härter geworden, ein bisschen distanzierter vielleicht, weniger versöhnlich. Irgendetwas zwischen uns ist weggedriftet. Ich frage mich, ob er mir noch böse ist. Doch dann kommt mir der Gedanke, dass er vielleicht der Ansicht ist,
ich
sei weggedriftet, und er lässt mich los, ohne mich zurückzuhalten. Ich überlege, ob es sich so anfühlt, wie ein Erwachsener behandelt zu werden.
    Er lässt mich aussteigen. Etwas in mir wünscht sich, er würde mir zuzwinkern und mit dem Daumen über meinen Wirbel fahren, doch das tut er nicht. Ich winke ihm kurz zu und ziehe ab. Das Spiel hat bereits angefangen. Wie eine Kette unpolierter Edelsteine drängen sich die Autos um das Oval. Es müssen mehr als hundert Zuschauer da sein.
    Ich gehe den leicht abschüssigen Pfad zum Spielfeld hinunter, als ich plötzlich wie angewurzelt stehen bleibe. Ich kann es kaum glauben. Ist er es wirklich? Ich kneife die Augen zusammen. Er ist es. Jeffrey steht auf dem Feld, direkt am Rand, aber er spielt tatsächlich mit. Er ist wirklich dabei.
    Hastig setze ich mich in Bewegung. Es fährt mir ordentlich in die Knie, als ich losjogge. Ich sehe, wie die Spieler nach einem Over die Seiten wechseln. Jeffrey lassen sie von einer Fine-Leg-Position zur anderen laufen, einmal quer über das ganze Spielfeld. Beim Loslaufen entdeckt er mich und setzt ein strahlendes Lächeln auf. Dann winkt er mich zur anderen Seite. Er läuft mit hoch erhobenem Kopf und geradem Rücken und klatscht aufmunternd in die Hände, während er mitten über das Spielfeld hopst. Als ich bei ihm ankomme, hüpft er vor Aufregung auf der Stelle. Ich jubiliere innerlich.
    «Du wirst es nicht glauben, Chuck!» Er richtet die Hände auf mich, als wären es zwei Duellierpistolen.
    Dann dreht er sich unvermittelt um und geht ernst und konzentriert in Stellung, weil der nächste Ball gebowlt wird. Er rutscht zum Wicket Keeper durch. Jeffrey wendet sich wieder zu mir um und ist abermals putzmunter.
    «Also pass auf: Wer hat zwei Daumen

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