Wer hat Angst vorm bösen Mann?
Wochen wieder freigelassen wird. Er wird Jahre eingesperrt bleiben, doch es wird vorher nur nicht gesagt, wie viele Jahre genau.
Jährlich findet in einer forensischen Klinik eine Anhörung statt, bei der der Aufenthalt erneut verlängert werden kann. Hierzu wird ein ärztliches Gutachten erstellt, das prüft, ob weitere schwere Straftaten zu erwarten sind. Dieses Gutachten kann ergeben, dass der Patient entweder noch nicht psychisch stabil genug ist und mindestens ein weiteres Jahr in der Klinik bleiben muss. Oder aber, dass er zuverlässig seine Medikamente einnimmt, sodass keine Verfolgungsideen mehr auftreten und eine Freilassung möglich ist. Das Gutachten kann aber auch zur Folge haben, dass man ihm gewisse «Lockerungen» wie Ausgang in Begleitung eines Pflegers und vielleicht später sogar einen «Urlaub» zu Hause gewährt.
Unter anderen Umständen gilt dagegen die verminderte Schuldfähigkeit (Paragraph 21 des Strafgesetzbuches), wie in diesem Fall: Der Elektroinstallateur Rüdiger B. hat nach einem Schützenfest die siebzehnjährige Monika L. im Wald vergewaltigt. Da bei ihm aufgrund seiner Vorgeschichte mit mehreren sexuellen Übergriffen ein überstarker Sexualtrieb und eine Persönlichkeitsstörung festgestellt wurden und er während der Tat zudem noch unter Alkoholeinfluss stand, erhält er mildernde Umstände, also nicht vier, sondern nur drei Jahre Haft. Eine Schuldunfähigkeit kann bei ihm nicht angenommen werden, denn er hat eine normale Intelligenz – er ist zum Beispiel in der Lage, eine Waschmaschine in Einzelteile zu zerlegen und wieder zusammenzuschrauben. Da man davon ausgeht, dass seine Krankheit durch eine Psychotherapie gebessert werden könnte, wird er nicht ins Gefängnis, sondern in den Maßregelvollzug verbracht.
Gefängnis oder Psychiatrie?
Ein junger Assistenzarzt in meiner damaligen forensischen Klinik erstellte ein Gutachten über einen Angeklagten, der eine Körperverletzung begangen hatte. Er schlug dem Gericht vor, dem Mann wegen einer Persönlichkeitsstörung verminderte Schuldfähigkeit zuzubilligen.
«Wenn es nach Ihnen ginge», polterte der ältere Richter, «sind ja alle Straftäter krank und gehören in den Maßregelvollzug.»
«Ganz richtig», entgegnete der Arzt, «es gibt bei den schwer Straffälligen kaum einen, der psychisch gesund ist.»
Der Richter schüttelte verständnislos den Kopf und gab dem Gutachten nicht statt.
Wie dieser Richter haben viele Menschen die Ansicht, dass eine forensische Psychiatrie eine Art Wellnessoase ist, in der die Täter bei Jasmintee und einfühlsamen Therapiegesprächen ihre Seele baumeln lassen können. Und sie haben kein Verständnis dafür, dass die Unterbringung von Missetätern im Maßregelvollzug den Steuerzahler deutlich mehr kostet als im Gefängnis.
Die Idealvorstellung ist die, dass in Haftanstalten Menschen sitzen, die frei von jeglicher psychischen Störung sind und demzufolge keine Therapie für ihre Resozialisierung brauchen. Und im Maßregelvollzug sind dagegen diejenigen untergebracht, bei denen eine Therapie notwendig und erfolgversprechend ist. Davon ist die Realität weit entfernt. Eine Untersuchung in deutschen Gefängnissen ergab, dass 88 Prozent aller Insassen unter einer psychischen Erkrankung litten. Besonders häufig waren dabei antisoziale und Borderline-Persönlichkeitsstörungen. [69]
So fragt man sich, warum diese Täter nicht alle in den Maßregelvollzug kommen, wenn man doch annimmt, dass sowieso fast jeder, der straffällig wird, in irgendeiner Form psychisch krank ist und therapiert gehört? Nun kann man nicht davon ausgehen, dass alle antisozialen Täter therapiefähig sind, wie wir noch sehen werden.
Aber neben der psychotherapeutischen Behandlung hat der Maßregelvollzug eine weitere Funktion: Das Team aus Psychiatern, Psychologen, Sozialarbeitern und Pflegepersonal hat den Täter unter Beobachtung und kann – viel besser als in einer Haftanstalt – die Fortschritte eines Patienten beurteilen und so eine Prognose abgeben, ob seine Freilassung eines Tages zu riskieren ist. Wird die Sozialprognose als ungünstig eingestuft, kann es passieren, dass ein Täter für die gleiche Tat viel länger hinter Schloss und Riegel sitzt als jemand im Gefängnis.
Die Unterbringung in der forensischen Psychiatrie kann man aber nicht beliebig verlängern, selbst wenn die Prognose schlecht ist, denn es muss das Prinzip der Verhältnismäßigkeit eingehalten werden. Auch wenn der Volkszorn
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