Wer hat Angst vorm bösen Mann?
Rückfallhäufigkeit senkt.
Zeitweise diskutierte man, sexuelle Abweichungen durch gezieltes Ausschalten von Gehirnarealen zu behandeln. Nur: Welche Teile soll man operativ entfernen, welche Nervenbahnen durchtrennen? So weit ist die Hirnforschung noch nicht, dass wir genau wissen, welche Gehirnstrukturen wir wegschneiden müssten, um eine solche unheilvolle Veranlagung zu beseitigen. Die derzeitige Kenntnis, was die Hirnchirurgie bei sexuellen Abweichungen betrifft, könnte man am besten mit dem Versuch vergleichen, mit einem Trennschleifer ein Rechteck aus einem Computer-Motherboard herauszuschneiden, um auf diese Weise ein Virusproblem zu lösen.
Und: Welche Nebenwirkungen und Spätfolgen haben wir bei einer solchen Gehirnoperation zu erwarten? Jede OP in diesem Bereich ist mit einem extremen Risiko verbunden. Und wir haben nicht die geringste Garantie, dass die Neigung zu Gewalttätigkeit danach beseitigt ist. Daher gilt diese Methode heute als obsolet.
Untrügliche Sensoren
Eine Zusammenfassung aller verfügbaren Studien ergab, dass die aus humanitären Gründen kaum noch angewandte chirurgische Kastration am besten Rückfälle verhindern konnte, gefolgt von der chemischen Kastration. An dritter Stelle stand, was die Wirksamkeit anging, die Verhaltenstherapie. [108] Betrachtete man alle Therapieformen zusammen, lag die Rückfallquote bei elf Prozent, ohne Therapien bei 18 Prozent. Deutliche Effekte konnten nur in den Fällen erzielt werden, in denen die Patienten freiwillig an einer Behandlung teilnahmen. Man muss also einräumen, dass es keine absolut verlässlichen Behandlungsformen für aggressive Sexualdelinquenten gibt.
Ein Psychiater, der für das Gericht ein Gutachten hinsichtlich der Rückfallgefahr eines Täters schreibt, hat eine verantwortungsvolle Aufgabe. Einerseits darf er ihn aus Gründen der Menschlichkeit und der Verhältnismäßigkeit nicht unnötig lange unter Verschluss halten, andererseits muss er die Öffentlichkeit vor Rückfalltaten bewahren. Im Zweifelsfall wird er sich zum Schutz der eventuellen Opfer eher für eine längere Unterbringung entscheiden. Ein Gutachter, der vor dem Problem einer solchen Abwägung steht, wird mit dem Täter Gespräche führen, sein Verhalten in der Klinik beobachten und registrieren, wie der Patient reagiert hat, nachdem er «Lockerungen» bekommen hat. Vor allem wird er aber Statistiken berücksichtigen, nach denen bestimmte Diagnosen und weitere Merkmale des Patienten mit einem besonders hohen Rückfallrisiko verbunden sind. So sind vor allem die sadistischen Täter gefährlich, die ihre Vergewaltigungsopfer nicht nur umbrachten, um die Straftat zu vertuschen, sondern vor allem aus Lust am Quälen und Töten mordeten.
Trotz sorgfältigster Überlegungen wird ein Gutachter stets mit einem Restrisiko rechnen. Und hier beginnen die öffentlichen Diskussionen: Wenn laut Statistik von hundert Vergewaltigern zwanzig nach ihrer Entlassung wieder rückfällig werden und wenn es keine verlässlichen Kriterien gibt, um vorherzusagen, welche zwanzig Personen erneut zuschlagen werden, ist es dann gerechtfertigt, alle hundert Delinquenten für immer einzusperren? Man würde ja den anderen achtzig Tätern Unrecht tun, die ihre Strafe abgesessen haben und zu den Geläuterten zählen. Selbst wenn sich die Rückfallrate nur auf fünf Prozent belaufen würde, so wäre es für manchen Bürger völlig angemessen, auch die übrigen lebenslänglich hinter Gittern zu lassen. Denn, so würden sie argumentieren, die Freiheitseinschränkung von fünfundneunzig «Unmenschen» wäre weniger schlimm als der Tod eines einzigen zehnjährigen Jungen, der vergewaltigt und auf bestialische Weise erstochen werden könnte, würde man nur in einem einzigen Fall den Falschen freilassen.
Ab welchem Rückfall-Prozentsatz kann man aber das Risiko eingehen, einen Täter nicht mehr in der Haft zu halten? Auf eine solche Frage werden auch Philosophen oder Ethiker keine eindeutige Antwort geben können. Einige Fachleute werden jetzt einwenden: «Das sind nur Statistiken – wenn ich einen Patienten gut kenne, kann ich sehr wohl eine Vorhersage treffen, ob er rückfällig wird oder nicht.» In meiner Zeit in der Forensik habe ich mehrere Fälle beobachtet, in denen ein Therapeut nach langer Arbeit mit dem Patienten völlig davon überzeugt war, dass die Mühe sich gelohnt habe. Bei der Anhörung empfahl er, den Täter freizulassen – worauf es prompt zu einer Rückfalltat kam.
Solche
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