Wer hat das Rind zur Sau gemacht?
Laune können die NGO s missliebige Unternehmen schurigeln, indem sie deren Produkte besonders «streng» bewerten. Die Wirtschaft schluckt’s und denkt darüber nach, ob sie ihre Parteispenden fürderhin nicht besser andernorts platziert. Ein Schuft, wem dabei das Wort Schutzgeld in den Sinn kommt.
Der Handel profitiert trotzdem von dem Deal und kann sich im Wohlwollen von Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen sonnen. Wie sein neues positives Image umgesetzt wird, ist ihm nämlich schnurz: Er reicht die Wünsche der NGO s einfach an seine Lieferanten weiter und diese wiederum an die Erzeuger. Und die dürfen dann sehen, wie sie damit zurechtkommen.
Da der Landwirt seine Pflanzenschutzmittel nicht aus Jux und Tollerei verwendet – sie kosten schließlich Geld –, hat er die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten: Wenn er die erforderlichen Spritzmittel trotzdem einsetzt, riskiert er, erwischt zu werden und den Großkunden zu verlieren. Oder er nimmt deutliche Ernteeinbußen hin und stellt damit die eigene Existenz in Frage. Oder aber er weicht auf illegale Mittel aus, die bei den Routineanalysen im Labor gar nicht untersucht und miterfasst werden. Dreimal dürfen Sie raten, wofür er sich entscheidet …
Grundsätzlich setzt der Landwirt Pestizide so früh wie möglich ein, damit er die sogenannte Wartezeit zwischen Spritzung und Verkauf einhalten kann. Je mehr Zeit vergeht, desto weniger Rückstände vermag das Labor noch aufzuspüren. Denn die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln beteuern, dass ihre Produkte sowohl in der Pflanze als auch in der Umwelt zuverlässig abgebaut werden. Dasselbe gelte für Tierarzneimittel: Sie würden von Rind, Huhn und Schwein eilends verstoffwechselt und wieder ausgeschieden. Halte der Landwirt die gesetzlich vorgeschriebene Wartezeit zwischen der Pestizidausbringung oder der Medikamentengabe ein, dann könne der Kunde Salat samt Schnitzel bedenkenlos verzehren.
Einem findigen Händler eröffnet sich hier zugleich ein Schlupfloch, das ihm einen kleinen Extraprofit verspricht: Wenn man nur lange genug mit dem Verkauf seiner Produkte wartet, beispielsweise, indem man sie im Herbst einlagert, braucht man die Analysen im Frühjahr bei der Probenziehung im Supermarkt nicht mehr zu fürchten. Wenn Bioäpfel oder Öko-Kohl im Frühjahr ausverkauft sind, merkt niemand, wenn die Gemüsekisten unauffällig mit konventioneller Ware «ergänzt» worden sind. Denn in Sachen Pestizidrückstände gibt es jetzt auch mit empfindlichen Methoden keine messbaren Unterschiede mehr.
Blinde Kuh
Wo aber sind die Pflanzenschutzmittel wirklich hin? Haben sie sich in Luft oder in Kohlendioxid und Wasser aufgelöst? Etwa rückstandsfrei abgebaut? Nein, die Lebensmittelchemiker konnten sie nur nicht finden! Kaum vorstellbar, wo doch inzwischen jeder Bundesbürger weiß, dass diese Zunft mit moderner Analytik selbst noch ein Stück Würfelzucker im Bodensee nachweisen kann. Nun gibt es für den Chemiker zwischen dem Bodensee und einem Kohlkopf aber einen gewaltigen Unterschied. Nein, nicht in der Größe, sondern im Zustand: Das Zuckerstück ist im Wasser gelöst, und daher schwimmen die Zuckermoleküle in der Wasserprobe frei herum. Aus diesem Grunde kann der Chemiker darin den Zucker und auch jede andere Substanz bis in den Ultraspurenbereich hinein verfolgen. Aber Rotkohl und Radieschen bestehen bekanntlich aus Zellen – und deshalb verhalten sie sich ganz anders als eine Wasserprobe.
Kein Lebewesen kann es sich erlauben, in seinem Organismus tagelang körperfremde Stoffe ihr Unwesen treiben zu lassen. Pflanzen können unerwünschte Substanzen natürlich nicht wie Mensch und Tier mit dem Harn oder Kot ausscheiden. Daher binden sie sie an Fasern, Zellwände oder, allgemeiner ausgedrückt, an Ballaststoffe wie Cellulose, Pektin oder Lignin. Mit diesem Trick verwandelt die Pflanze die freien Pestizide in gebundene. Sie zieht sie also vorläufig aus dem Verkehr und blockiert auf diese Weise ihre Wirkung.
Leider kann der Analytiker gebundene Pestizide in der Regel nicht mit den täglich im Labor angewendeten kostengünstigen Routinemethoden herauslösen und erfassen. Darum ist die von den Pflanzen eifrig betriebene «innere Entsorgung» für ihn außerordentlich lästig. Mit der üblichen Analytik erfasst er nämlich in erster Linie die «nackte», die gelöste Ausgangssubstanz. Auch wenn er weiß, dass im Gemüse noch irgendetwas zu finden sein müsste – die Pflanze hat den gesuchten
Weitere Kostenlose Bücher