Wer hat das Rind zur Sau gemacht?
ihren Enzymcocktails in unserem Verdauungstrakt: Sie setzen einen erklecklichen Teil der Gebundenen aus der Nahrung frei. Dies ergaben zum Beispiel Versuche mit dem radioaktiv markierten Vorratsschutzmittel Malathion auf Bohnen.
Der Gehalt an gebundenem Malathion in den Bohnen betrug noch siebeneinhalb Monate nach der Behandlung – also zu einem Zeitpunkt, an dem das Mittel nach landläufiger Meinung bereits vollständig abgebaut ist – 17 Prozent. 61 Als man diese «rückstandsfreien» Bohnen an Mäuse verfütterte, zeigte sich, dass drei Viertel des gebundenen Malathions im Darmtrakt «befreit» und vom Körper aufgenommen wurde. Die Ergebnisse in Sachen Bioverfügbarkeit schwanken von Fall zu Fall zwischen 0 und 100 Prozent! 18,61 Dies hat mehrere Gründe: Erstens hängt es vom jeweiligen Lebensmittel, vom fraglichen Stoff und von der Art der Bindung ab, zweitens von der Darmflora – und die ist individuell verschieden. Als Faustregel lässt sich sagen, dass im Schnitt etwa die Hälfte bis zwei Drittel der Gebundenen bioverfügbar sind.
Toxikologische Studien zeigten, dass Lebensmittel mit gebundenen Pestizidrückständen – also Lebensmittel, die laut Routineanalyse als unbedenklich gelten – bei Versuchstieren unerwünschte Effekte hervorriefen, wie Veränderungen des Blutbilds sowie Leber- und Nervenschäden. 24,32,34,40,49,50,51 Zwar handelt es sich nur um Ergebnisse aus speziellen Versuchsanordnungen und nicht um Produkte, die auf dem Wochenmarkt eingekauft wurden, sie zeigen aber, dass die Gebundenen prinzipiell ernst zu nehmen sind.
Dabei lassen sich die Effekte nicht unbedingt aus der jeweiligen Ausgangssubstanz ableiten. Dies beweist eine Studie über das natürlicherweise in Butter und Schmalz, aber auch in Mandeln oder Olivenöl enthaltene Östron, eine Substanz mit Hormonwirkung. Spritzt man Mäusen
freies
Östron, nehmen sie zu, bei
gebundenem
Östron magern sie hingegen ab. Aber es kommt noch kurioser: Gibt man ihnen das gebundene Östron statt per Spritze im
Futter
, dann nehmen sie wieder zu! 47
Die Rückstandsdaten der Lebensmittelüberwachung spiegeln also die tatsächliche Belastung unserer Nahrung gerade nicht wider. Sie transportieren allenfalls umweltpolitisches Wunschdenken, und gebundene Rückstände in der Nahrung sind sowohl für das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) als auch für das zuständige Ministerium und die Medien bis heute kein Thema. Stattdessen wird die Öffentlichkeit durch bedeutungslose Spuren bzw. Ultraspuren freier Rückstände in Angst versetzt.
Die Last mit dem Ballast
Gebundene Rückstände sind ein typisches Problem pflanzlicher Nahrung, denn Tiere können die meisten Schadstoffe ja ausscheiden. Dass tierische Lebensmittel in Sachen Schadstoffe jahrelang als Hauptproblem galten, lag daran, dass sie über die Nahrungskette chlororganische Verbindungen wie DDT anreichern, und die können durchaus zu erklecklichen Rückständen führen. Da diese nach dem derzeitigen Stand des Wissens aber offenbar nicht gebunden werden, hat man ihre Gehalte meist korrekt ermittelt. Hinzu kommt, dass die Chemiker sie mit vergleichsweise einfachen Mitteln aufspüren können; darum hat sich die Gemeinde der Analytiker darauf eingeschossen. Denn jedes Labor muss natürlich Geld verdienen, und am meisten bringt es ein, Routineanalysen anzubieten, die mit geringem Aufwand verlässliche Messergebnisse liefern. Hier gilt «Suchet, so werdet ihr finden», und so waren diese Substanzen lange Zeit das Hauptthema in Sachen Rückstände.
Natürlich gibt es auch Stoffe, vor allem Medikamente wie Nitrofurane, von denen ein kleiner Teil im Tier an Eiweißbestandteile gebunden wird. Problematisch sind nach derzeitiger Kenntnis aber nur die Tetracycline, eine Gruppe von Antibiotika, die sich in den Knochen von Nutzvieh einlagern. 9,58 Säure löst sie wieder heraus, zum Beispiel, wenn man Kasseler Rippspeer im Sauerkraut kocht.
Da Pflanzen die breite Palette schädlicher Substanzen notgedrungen speichern müssen – egal, ob sie aus Luft, Boden oder Wasser stammen –, gehen von Minestrone, Ratatouille und Kohleintopf nach heutigem Wissensstand ein höheres Risiko aus als von Leberwurst, Schnitzel und Spiegelei. Da Pestizide, Schimmelpilztoxine oder Umweltgifte von Obst und Gemüse häufig an Fasern, also an die «Ballaststoffe», gekoppelt werden, findet hier die fromme Mär von der gesundheitsfördernden, weil rohfaserreichen Kost ein garstiges Ende. Dass eine ballaststoffreiche
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