Wer hat das Rind zur Sau gemacht?
Maße für pflanzliche als für tierische Lebensmittel. Nicht nur, weil Pflanzen unerwünschte Fremdstoffe an ihre Ballaststoffe binden, sondern vor allem, weil sie von Natur aus mit einem schlagkräftigen und im Bedarfsfalle schnell anpassungsfähigen Chemiearsenal bewaffnet sind – vor ihren Fressfeinden weglaufen können sie schließlich nicht.
Wie schon erwähnt, sprechen Fütterungsversuche dafür, dass ein erklecklicher Teil aller Pestizide und Fremdstoffe, die von der Pflanze in gebundene Rückstände verwandelt worden sind, auch beim Menschen eine Wirkung hervorrufen könnte. Daher muss die Bioverfügbarkeit von gebundenen Rückständen, egal, ob es sich um Schimmelpilztoxine, pflanzeneigene Gifte oder synthetische Pflanzenschutzmittel handelt, endlich analytisch und toxikologisch ernst genommen werden. Freie Rückstände verhalten sich zu gebundenen etwa so wie das jederzeit verfügbare Kleingeld im Portemonnaie zu den Beträgen, die als Festgeld auf dem Konto lagern oder in Immobilien angelegt worden sind.
Der Weg der Mitte: Konjugate
Viele Pestizide, Arzneimittel und andere Gifte sind nur begrenzt in Wasser löslich, lösen sich jedoch umso besser in Fett. Nachdem Mensch oder Tier diese Stoffe aufgenommen haben, gibt es für den Organismus zwei Möglichkeiten, sie mehr oder minder unschädlich zu machen: Entweder deponiert er die unerwünschten Stoffe im relativ stoffwechselträgen Fettgewebe (dies kennt man von DDT und Dioxinen), oder er macht sie wasserlöslich und befördert sie mit dem Harn, dem Stuhl oder auch dem Schweiß nach draußen. Zu diesem Zweck müssen diese Substanzen vom Stoffwechsel an wasserlösliche Transporter wie Zucker, Glucuronsäure oder Phosphate gekoppelt werden. 46,56 Dann spricht man von konjugierten Rückständen. Sie bilden sozusagen ein Mittelding zwischen freien und gebundenen Rückständen.
Da die Möglichkeiten der Konjugation bekannt und begrenzt sind, kann das Labor konjugierte Pestizidrückstände bei Bedarf – ähnlich wie die freie Muttersubstanz – meist ohne übermäßigen Aufwand bestimmen. Ähnlich sieht es bei Tierarzneimitteln aus. Normalerweise wird der größte Teil vom Organismus «konjugiert» und ausgeschwemmt. 4,16,25,37,43 Damit ist das Fleisch, wenn es denn zum Verzehr gelangt, relativ rückstandsarm. Die Antibiotika hat der Körper unschädlich gemacht und ihrer Wirkung beraubt. In dieser Form sollten sie eigentlich auch für die Umwelt harmlos sein, da sie in konjugierter Form in die Gülle geraten.
Diese These haben Wissenschaftler an der Universität Bonn bereits 1986 überprüft. Sie brachten mit konjugiertem Chloramphenicol und Sulfamidin belastete Gülle auf Felder aus. Aber schon innerhalb weniger Wochen, manchmal sogar schon nach wenigen Tagen, wurden dort die konjugierten Antibiotika von den Mikroorganismen wieder in ihre ursprüngliche freie Form umgewandelt. Der Antibiotikagehalt der Gülle erreichte sein Maximum zum Teil erst, nachdem die Medikamente im Stall abgesetzt worden waren. Damit sind die Rückstandsmengen, die über konjugierte Arzneistoffe in die Umwelt und damit in die Lebensmittel gelangen, größer als diejenigen, die im Tier verbleiben. 8
Dies erklärt zugleich, warum meist nur «homöopathische» Rückstandsmengen von Tierarzneimitteln in Fleisch oder von Pestiziden in Salat gefunden werden. Nur ein geringer Anteil der verabreichten Wirkstoffe reichert sich dort an; der größte Teil wurde vorher ausgeschieden oder gebunden. Damit ist auch das Rätsel gelöst, warum im fertigen Braten manchmal sogar mehr Rückstände entdeckt werden als im Frischfleisch: Nicht nur Bakterien, auch die Hitze von Herd und Backofen vermögen gelegentlich konjugierte oder auch gebundene Rückstände aus Lebensmitteln freizusetzen. 5,21,36
Die Problematik der Gebundenen ist der Fachwelt seit mehr als drei Jahrzehnten bekannt. Jeder Analytiker weiß, dass seine Messergebnisse bei organischen Stoffen, seien es Pestizide, Vitamine oder sekundäre Pflanzenstoffe, in der Praxis oft nur von geringer Aussagekraft sind. 52 Doch die Entwicklung aussagekräftigerer Methoden scheint hierzulande unerwünscht zu sein. So verbreitet das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ( BVL ) im Rahmen seines Internetauftritts in teils jahrzehntealten Schriften listenreich, dass die Gebundenen bei den Höchstmengen von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln bereits berücksichtigt seien. 12 Liest man die im Schriftstück «Zur Prüfung
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