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Wer hat das Rind zur Sau gemacht?

Wer hat das Rind zur Sau gemacht?

Titel: Wer hat das Rind zur Sau gemacht? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Pollmer , Andrea Fock , Monika Niehaus , Jutta Muth
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den Discounter geschaukelt wird, um sie als Schnäppchen ins Kühlregal zu legen; sie ahnen, dass Rittersleut’ keine Streichwurst herstellen und der Ort der Produktion schwerlich jene Windmühle sein kann, die als Markensymbol auf der Pelle prangt. Den Marketingexperten bleibt – so wie jedem anderen Kunden auch – als einziger Maßstab nur der Preis und die Hoffnung auf ein Schnäppchen. Denn auch sie wissen nicht, was sie kaufen.
    Nun ist das alles andere als neu. 2001 erhielt George A. Akerlof zusammen mit seinen Kollegen A. Michael Spence und Joseph E. Stiglitz für diese Einsicht sogar den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Die drei hatten herausgefunden, dass der Verbraucher umso weniger bezahlt, je weniger er über ein Produkt weiß. Ihr Beispiel: In Ländern, in denen Inserate für Gebrauchtwagen mit allerlei Details versehen wurden, zahlten die Kunden für ein gleichwertiges Auto deutlich mehr als dort, wo darauf verzichtet wurde. Was im ersten Moment eher belanglos wirkt, hat weitreichende Folgen für die Qualität. Denn wenn ein unfallfreies, gepflegtes Fahrzeug mit den gleichen Worten angeboten wird wie ein notdürftig geflickter, aber optisch unauffälliger Unfallwagen, dann wird der seriöse Anbieter in der Regel nur den Durchschnittspreis erzielen – und damit einen Verlust erleiden. 2
    Profitabler ist die Schrottkarre, denn auch deren Verkäufer kann sich berechtigte Hoffnungen machen, den Durchschnittspreis dafür abzugreifen. Da Schrottprodukte im Englischen «lemons» genannt werden, spricht man von «lemon markets». Wenn aber nur die Anbieter von Lemons auf ihre Kosten kommen, dann führt die Qualitätsspirale ständig nach unten. Nach einigen Jahrzehnten Praxis gelangt man dorthin, wo unsere Lebensmittelwirtschaft heute steht: Unsere Supermärkte sind «lemon markets» wie aus dem Lehrbuch.
    Akerlof kam zum Schluss, dass ein Preisverfall unaufhaltsam ist, wenn sich das ganze Knowhow in der Hand des Anbieters befindet. Ein Kunde, der den Wert der Ware nicht beurteilen kann, ist kein Kunde, der bereit ist, tief in die Tasche zu greifen. Das ist natürlich ein Schlag ins Kontor der populären Marketingstrategie, die inbrünstig verkündet, man müsse dem Verbraucher nur eine treuherzige Geschichte erzählen, um dann über seine erhöhte Preisbewilligungsbereitschaft ordentlich abzukassieren. Was im Supermarkt der Wundermittel à la «Antizellulitis-Joghurt» einige Zeit als Goldesel taugen mag, funktioniert nicht mehr auf Märkten, die ihren Heiligenschein eingebüßt haben. Auf dem Lebensmittelsektor verblassen die Märchen vom Öko-Schneewittchen, ihren Light-Zwergen und dem Apfel mit Regio-Qualitätssiegel – ja, im Märchen war die schöne Seite die giftige.
    Zu dieser Situation hat auch die Politik – früher als Erfüllungsgehilfe der Wirtschaft, heute der Presse – ihr Scherflein beigetragen. Die deutsche Verbraucherschutzpolitik zielte seit jeher darauf ab, den Wähler im Dunkeln zu lassen; sie ließ Verbraucherinformationen auf Kindergartenniveau verbreiten und mühte sich, per Deklaration so viel wie möglich zu verschleiern. Inzwischen haben viele Kunden begriffen, dass Lebensmittel aus ebenso modernen Produktionsanlagen stammen wie ihr Auto. Jetzt rächt sich diese Art staatlicher Desinformation.
    Wer höhere Preise will, der muss seine Kundschaft in die Lage versetzen, die Ware auch zu beurteilen. Sie muss «Billiges» von «Teurerem» unterscheiden können, und zwar anhand von nachvollziehbaren, objektiven Kriterien. Fehlen diese, rücken religiöse Marotten in den Vordergrund. Dann sind die Produkte «frei von Genen», «aus ökologischem Anbau», «aus fairem Handel», «ohne Kinderarbeit und Gluten» usw. Da ist dann alles an Schlagworten beisammen, wovon eine naive Wohlstandsgesellschaft träumt.
    Die Wirklichkeit sieht oft genug bitter aus: «Ohne Kinderarbeit» heißt mancherorts, dass den Kindern die Hände abgehackt werden, damit sie wieder betteln können. Den schmerzlichen Job erledigen die Eltern gewöhnlich noch im ersten Lebensjahr, weil dann die Knochen noch leichter zu durchtrennen sind und die Wunde recht gut verheilt. Darüber gibt es keine Berichte im Internet, aber derartige Beispiele kennen viele Menschen, die in den ärmsten Ländern der Welt mit Fragen der Kinderarbeit zu tun hatten. «Am deutschen Wesen soll die Welt genesen», so hieß das früher. Ob die Welt wohl immer noch auf unsere Weltverbesserer wartet?

Sehhilfe für Justizia
    Auf

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