Wer hat das Rind zur Sau gemacht?
Probleme pflegt man in Deutschland gemeinhin mit dem Ruf nach einem «Verbot» und «schärferen Strafen» zu reagieren. Das beruhigt die Volksseele. Und schon können die Marktteilnehmer wieder ungestört ihren gewohnten krummen Geschäften nachgehen. Aber mit Strafen ist gegen strukturelle Missstände herzlich wenig auszurichten, im Gegenteil, Missetäter bleiben weiterhin ungeschoren, und redliche Produzenten stolpern über formaljuristische Fallstricke im Paragraphendschungel. Es stimmt schon: Die Höhe der Geldstrafen ist im Vergleich zu den illegal möglichen Gewinnen lächerlich. Doch die Lage ist weitaus verfahrener, als es nach außen scheint. Nicht nur der Verbraucher hat das Vertrauen in unser Lebensmittelrecht verloren, auch die Lebensmittelwirtschaft selbst.
Die Rechtsmaterie ist so kompliziert, dass die wenigen Fachjuristen, die es überhaupt gibt, sich auf einzelne Sachgebiete spezialisiert haben. Denn kaum jemand kann die Gesetzesflut und ihre verzwickten Änderungen überblicken. Dieses Recht gilt für einen Konzern mit juristischen Fachressorts genauso wie für eine Frittenbude. Ist dem Inhaber eines vietnamesischen Restaurants, der als hervorragender Koch dem Gast Spitzenprodukte serviert, das jeweils aktuelle Lebensmittelrecht ein Buch mit sieben Siegeln geblieben, hat er gute Chancen, vor dem Kadi zu landen. Da der «Kadi», gewöhnlich ein Amtsrichter, vom europäischen Lebensmittelrecht meist auch nicht mehr weiß (und wissen kann!) als ein Koch aus Vietnam, tut sich ein juristisches Minenfeld auf, das jeden ehrlichen Marktteilnehmer schnell die Existenz kosten kann.
Meist geht es in solchen Verfahren nicht um eine Dose verdorbenes Hundefutter im Kühlschrank, sondern um Fachfragen chemisch-mikrobiologischer Analytik, deren Verständnis ein Studium der Lebensmittelchemie, Mikrobiologie, Veterinärmedizin und der Lebensmitteltechnologie voraussetzt. Nur so bekommt der Richter eine Vorstellung davon, wie tatsächlich produziert wird. Ein professioneller Betrüger tut sich da viel leichter. Er kennt die Tricks, die Fallstricke, die billigen Ausreden: «war ein Versehen beim Nachfüllen der Etiketten»; er weiß, welches «Mietmaul» notfalls ein Gegengutachten schreiben würde, und er kann sogar einen befähigten Fachjuristen bezahlen. Das alles kostet ihn angesichts seines Profits nur ein mildes Lächeln.
Unsere Lebensmittelwirtschaft benötigt zuallererst Rechtssicherheit. Wenn es um den Strafrahmen geht, sind nicht «schärfere Strafen» angezeigt, sondern das Abschöpfen illegaler Gewinne, um sie dem Gemeinwohl zuzuführen. Das erfordert speziell ausgebildete Schwerpunktstaatsanwaltschaften und qualifizierte Fachrichter. Schließlich haben wir auch für das Verkehrsrecht Experten, auch wenn praktisch jeder Jurist sowohl einen Führerschein hat, der ihm erst nach einer Prüfung zuteilwurde, als auch die nötige Fahrpraxis, um zu wissen, was sich auf unseren Straßen abspielt. An ausgebildeten Juristen für Lebensmittelrecht führt kein Weg vorbei; ohne sie gibt es keine Lebensmittelsicherheit. Je länger wir damit warten, desto mehr drängen Handel und Medien die Wirtschaft zu Verhaltensweisen, die nicht mehr mit der Idee des Rechtsstaates, geschweige denn eines fairen Wettbewerbs vereinbar sind.
Ein Veterinär hat’s schwer
Ebenso wichtig wie eine kompetente Justiz ist eine wirksame Kontrolle. Doch auch da hapert es. Denn die Lebensmittelüberwachung gilt der Politik als Wirtschaftsschädling. Je genauer kontrolliert wird, je riskanter Schlampereien für den Betrieb werden, desto teurer die Produktion. Und so wird von Amts wegen versucht, die Kontrolle auszuhebeln. Tierärzte, die vom Veterinäramt den Auftrag erhalten, mal schnell eine Fleischfabrik zu kontrollieren, beklagen sich, dass sie dafür keine angemessene Qualifizierung erhalten. Wer sich mit Rinderkrankheiten auskennt, ist noch lange kein Schlachthofveterinär.
Hier stehen vor allem die Veterinärbehörden in der Kritik: Es fehlen nicht nur schriftliche Leitlinien, es fehlen auch klare Regelungen der Kompetenzen bei einer Kontrolle. Ein Veterinär würde gerne einen Kühlhausbetrieb, der branchenintern keinen guten Ruf genießt, auf Gammelfleisch überprüfen. «Wie soll ich», fragt er, «krummen Touren inmitten von Hochregallagern mit Tiefkühlware auf die Spur kommen? Meine Formulare sagen nämlich dazu leider gar nichts.» «Bitte stattet die amtlichen Tierärzte mit Vollzugsbefugnissen aus, denn solange wir rein
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