Wer hat das Rind zur Sau gemacht?
geschlachtet –, Heringswürmer in Tiefkühlfisch aus Marokko, Mittel gegen Würmer in vietnamesischen Pangasiusfilets, Chloramphenicol in indischem Tintenfisch, Quecksilber in chinesischen Karnickeln und spanischem Schwertfisch, Pestizide in tschechischem Blütenhonig, aber auch in Bio-Linsen, die illegale Einfuhr von Schwalbennesterextrakt, eine Charge radioaktiv bestrahlter Tofu, polnische Schnapsgläser, die zu viel Blei abgeben, und so weiter, und so fort.
Hinzu kommen krumme Gesundheitszertifikate, verbotene Färbemittel, hin und wieder mal ein nicht deklarierter Konservierungsstoff, ein Sack Gen-Reis, und zwischendrin flattert ein Schwarm Motten aus einer Lieferung Feigen. Am häufigsten wurden jedoch Lebensmittel wegen Schimmelpilzgiften beanstandet. Schimmelpilzgifte sind neben den Nahrungsergänzungsmitteln, in denen sich regelmäßig illegale Zutaten wie Appetitzügler oder Viagra finden, die wohl brisantesten Gesundheitsgefahren. Doch von ihnen hört man gewöhnlich nichts. Es handelt sich in beiden Fällen wohlgemerkt nicht um gefühlte Risiken, mit denen unsere Verbraucherorganisationen gerne hausieren gehen. Hier gibt es Handlungsbedarf! Doch Nahrungsergänzungsmittel bedienen die Angst vor «falscher Ernährung». Und Schimmelpilzgifte stellen vor allem in Bio-Mais ein Problem dar. Und schon heißt es: «Das ist derzeit kein Thema». Da loben wir uns doch ein gut abgehangenes butterzartes «Gammelfleisch».
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11 Krieg der Zimtsterne: Cumarin
Kaum war das herbstliche Gammelfleisch gegessen, da hielt mit dem anheimelnden Duft frisch gebackener Zimtsterne ein Hauch von Horror Einzug in die Vorweihnachtszeit: Hinter jeder Zacke lauerte jetzt «krebserregendes» Cumarin. Die Lebensmittelwirtschaft hat es sich diesmal nicht nehmen lassen, die Steilvorlage selbst zu liefern. Schon in der vorangegangenen Zimtsternsaison hatten die chemischen Untersuchungsämter Überschreitungen der Höchstmenge für Cumarin – zum Teil bis um das 40-Fache – beklagt. Doch das Problem war auch damals alles andere als neu: Zehn Jahre lang hatten die Lebensmittelchemiker die Branche auf die hohen Cumaringehalte im Cassiazimt hingewiesen. 9
Cumarin gehört zu den natürlichen Aromastoffen des chinesischen Cassiazimtes (
Cinnamomum aromaticum
, Synonym:
C. cassia
). Der früher übliche Ceylonzimt (Kaneel) – gewonnen aus
C. zeylanicum
, Synonym:
C. verum
– ist dagegen praktisch frei davon. Da Kaneel ein feineres Aroma hat, war er schon immer deutlich teurer als der eher dumpf schmeckende chinesische Zimt, und darum wurde Kaneel vor allem als Pulverware seit jeher fleißig mit der Rinde kulinarisch wertloser Zimtarten und allerlei anderen Borken verfälscht. 15,29,30,33 Wohl auch deswegen setzen die Keksfabriken gern den billigeren Cassiazimt ein, der in seinen Herkunftsländern allerdings weniger für Süßspeisen genutzt wird, sondern pikanten chinesischen Fleischgerichten sein unverwechselbares Aroma verleiht und auch Bestandteil des berühmten Fünf-Gewürze-Pulvers ist.
Weil der edle Ceylonzimt immer knapper und teurer wurde und Cassiaöl sich backtechnisch besser eignet, verwendeten die Unternehmen bald nur noch Chinaware bzw. die standardisierten, leicht dosierbaren Cassia-Extrakte. Aromamängel können dabei durch nachträgliche Bearbeitung problemlos ausgeglichen werden. Und so degenerierten die traditionellen Zimtsterne innerhalb weniger Jahre klammheimlich zu «Cassiaplätzchen». Denn Zimt ist schließlich Zimt, und welcher Kunde schmeckt da schon den Unterschied?
Kein Wunder, dass sich die Hersteller auch einen feuchten Kehricht um die Beanstandungen der Lebensmittelüberwachung kümmerten und lieber auf juristische Spitzfindigkeiten setzten. Denn der Grenzwert – einst aus Gründen des Gesundheitsschutzes erlassen – galt nur für Aromen, nicht für Gewürze. In Aromen liegen die Duft- und Geschmacksstoffe im Vergleich zu den Blättchen, Wurzeln oder Rinden der Würzpflanzen, aus denen sie gewonnen werden, in deutlich stärker konzentrierter Form vor. Nun mag man Zimt im Alltag als Gewürz ansehen und nicht als Aroma, aber die Backindustrie rührt vor allem Zimtextrakte in den Teig, und die fallen unter das Aromenrecht. Zu einer weiteren Spitzfindigkeit gab die Absicht der EU Anlass, den Grenzwert für Cumarin aufzuheben – aber allein die Absicht setzt diesen noch lange nicht außer Kraft. Das bestehende Recht gilt für alle – auch für Cassiaplätzchenbäcker und ihre
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