Wer hat Tims Mutter entführt?
von
Dachrinnen und Kanten. In einem der Gebäude pfiff eine Ratte. Ein scharfer Wind
fuhr an den Mauern entlang.
Tim spürte, daß er nicht allein
war. Es war wie ein Prickeln auf der Haut. Irgendwo wartete der Kidnapper.
Vermutlich in einer der oberen Etagen des Sudfrei-Hauses.
Tim wandte sich nach links und
schaltete die Taschenlampe wieder ein.
Tatsächlich! Dort an der Wand
baumelte ein dünnes Seil herab. Es war neu, jedenfalls leuchtete es hell.
Tim richtete den Strahl der
Taschenlampe nach oben.
Das Seil hing aus einer
Fensterhöhle im zweiten Stock.
Blitzartig zuckte dort eine
dunkle Gestalt zurück — so rasch, daß Tim sich nicht sicher war, ob er sie
tatsächlich gesehen hatte.
Er löschte die Lampe, schob sie
unter die Jacke, wo das Walkie-Talkie im Gürtel steckte, und band die
Geldtasche an das Seil. Ein doppelter Knoten.
„Die Tasche ist dran“, sagte er
laut. „Kannst sie hochziehen.“
Er erwartete nicht, daß der
Kidnapper sich bedankte. Und das traf voll zu. Niemand antwortete. Das Seil
hing völlig ruhig.
Tim seufzte und trat den
Rückweg an.
Auch jetzt waren die Sinne
gespannt. Wurde er verfolgt?
Er konnte nichts feststellen.
Als er durch die Halle des Hauptbahnhofs ging, hatte er das Gefühl, Blicke
seien auf ihn gerichtet. Aber das war sicher Einbildung.
Tims Zähne mahlten. Es war
wider seine Natur, dieses Nichtstun, dieses Abwarten, diese Hilflosigkeit. Doch
er durfte nichts riskieren.
Er ging die Bahnhofstraße
entlang. Gelegentlich sah er sich um. Auf der anderen Straßenseite ging ein
Mann in die gleiche Richtung wie er, ein großer Kerl in Hut und Mantel. Später
fiel Tim ein Wagen ein, der zweimal in großem Abstand hinter ihm hielt. Tim
konnte weder den Fahrzeugtyp noch das Nummernschild erkennen.
Tim marschierte nach Hause,
tigerte in der Wohnung auf und ab und wartete auf seine Freunde.
Sie kamen kurz vor ein Uhr.
Gaby hatte Schatten unter den Augen und wirkte erschöpft. Es war ein langer und
vor allem seelisch anstrengender Tag für das zarte Mädchen gewesen.
Tim brauchte nicht zu fragen.
Er las in den Mienen.
„Bei mir kam kein Aas vorbei“, berichtete
Karl. „Scheint die einsamste Ecke der Welt zu sein. Dasselbe gilt für Willis
Valentinsplatz. Null Person. Auch kein dressierter Hund, der die Geldtasche im
Maul trägt.“
Gaby hob die Achseln. „Ich habe
eine alte Frau gesehen, eine Streunerin. Sie scheint bei den Polizisten bekannt
zu sein. Jedenfalls hat sie ins Revier reingeschaut und sich mit ihnen
unterhalten.“
„Wir hätten 20 Helfer
gebraucht“, murmelte Tim, „um alle Wege dichtzumachen, die aus dem
Fellgerber-Viertel rausführen. Also Mißerfolg. Aber der Versuch war es wert.
Jetzt können wir nur hoffen, daß sie Susanne bald freilassen. Eine kleine
Chance besteht ja. Vielleicht fallen die gezinkten Scheine irgendwo auf.“
„Wann geben wir der Polizei
Bescheid?“ fragte Karl. „Morgen?“
Tim schüttelte den Kopf. „Zu
früh. Die Kidnapper würden es übelnehmen. Die Polizei macht sicherlich einen
Großeinsatz, und so was bleibt nicht geheim.“
Ihm fiel ein, daß er Mortius
anrufen sollte.
Der Industrielle meldete sich,
und Tim teilte ihm mit, daß er das Geld abgeliefert habe. Den Einsatz seiner
Freunde verschwieg der Anführer der TKKG-Bande. Das ging den Typ ebensowenig an
wie der Trick mit der Banozifa.
„Bestimmt“, sagte Mortius mit
väterlichem Ton in der Stimme, „wird jetzt alles gut. Habe so ein Gefühl. Deine
Mutter kehrt bald zurück.“
In dieser Nacht konnte Tim
nicht schlafen. Immer wieder fragte er sich, ob er was falsch gemacht habe. Er
dachte nach über die Fakten, versuchte, sie auf andere Weise zusammenzusetzen.
Aber kein neues Bild entstand. Das Puzzle ging nicht auf.
23. Vier Zigarettenstummel
Am Montagvormittag telefonierte
Gaby mit ihrer Mutter, Karl und Klößchen riefen ihre Eltern an.
In der fernen Großstadt, der
Welt der TKKG-Bande, löste die Nachricht von Susannes Entführung Entsetzen aus.
Alle kannten Tims Mutter. Man hatte schon viel gemeinsam erlebt. Besonders
zwischen Margot Glockner und Susanne bestand ein freundschaftliches Verhältnis.
Wieder schien die Sonne, sogar
sehr grell. Als die TKKG-Bande aufbrach, steckte jeder seine Sonnenbrille ein.
Gegen elf Uhr sockten die vier
Freunde durch das Fellgerber-Viertel.
Jetzt, im Sonnenlicht, sah man
den Verfall. Nichts wirkte anheimelnd, aber auch keineswegs so unheimlich wie
in finsterer Nacht.
Tim führte seine Freunde auf
den
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