Wer heimlich küsst, dem glaubt man nicht (German Edition)
Sullivan.
»Ich hoffe, es war okay, dass ich dem Typen erlaubt habe, sich an den Tisch in der Nische zu setzen«, sagte Jill, als sie an mir vorbeikam, um ein älteres Paar an einen der Zweiertische auf der Terrasse zu führen. »Ich habe ihn gefragt, ob er Quahog ist, und er hat Ja gesagt.«
Ich lachte laut auf. Allerdings war es kein fröhliches Lachen, sondern eines voller Verbitterung. Tommy mochte es darauf anlegen, mein Leben zu zerstören, um sich zu rächen … Aber wenigstens hat er sich seinen Humor bewahrt.
»Tja, Jill«, entgegnete ich trocken. »Ist er aber nicht.«
»Wirklich nicht?«, fragte sie erstaunt. »Er sieht so gut aus und so durchtrainiert, deswegen bin ich automatisch davon ausgegangen, dass er … Außerdem hat er mir erzählt, dass er auch auf die Eastport Highschool geht.«
Wie bitte? Na toll. Immerhin beruhigend zu wissen, dass ich anscheinend nicht die einzige Lügnerin in dieser Stadt bin.
»Er ist vor vier Jahren weggezogen«, sagte ich.
»Oops.« Jill schüttelte den Kopf. »Dann erlaube ich ihm das nächste Mal, wenn er kommt, wohl lieber nicht, sich an den Ecktisch zu setzen, was?«
»Nein …« Ich hielt plötzlich inne, weil mir ein fabelhafter Gedanke kam. »Oder doch! Falls er wiederkommt, solltest du ihn sogar unbedingt an den Ecktisch setzen!« Wenn Seth und die anderen Quahogs ihn dort sitzen sahen, würden sie sich auf ihn stürzen und ihn so verprügeln, dass alle meine Probleme auf einen Schlag (haha!) gelöst waren…
Aber halt! Was waren das für schreckliche Fantasien? So etwas durfte man noch nicht einmal denken. Außerdem konnte ich mich nicht darauf verlassen, dass mein Freund mich rettete. Ich hatte mir die Suppe selbst eingebrockt und musste sie auch selbst auslöffeln.
Sobald die Rentner versorgt waren und ich ein bisschen Zeit hatte, rief ich Seth an, um ihm zu sagen, dass er nicht wie sonst auf dem Mitarbeiterparkplatz auf mich warten sollte, denn ich würde heute gleich nach der Arbeit nach Hause radeln.
»Bist du dir ganz sicher, dass ich nicht kommen soll, Süße?« Seth klang besorgt, was verständlich war. Ich hatte ihm nämlich gesagt, dass ich mir durch die E.coli-Bakterien im Wasser offenbar eine leichte EHEC -Infektion zugezogen hatte, weshalb es wahrscheinlich besser wäre, wenn wir nach der Arbeit nicht noch rumknutschten.
»Ganz sicher«, antwortete ich und versuchte so zu klingen wie jemand, in dessen Darm üble Bakterien toben. »Ich will auf keinen Fall, dass du dich ansteckst.«
Dabei kann man sich natürlich nur durch kontaminiertes Essen oder Wasser mit EHEC anstecken, aber Seth ist in Bio nicht so gut wie ich, darum hat er keine Ahnung. Womit ich nicht andeuten will, dass er dumm ist. Seine Talente liegen einfach eher auf anderen Gebieten.
»Morgen ist bestimmt alles wieder okay«, sagte ich und versteckte mich schnell hinter dem Kühlschrank, damit Kevin (unser stellvertretender Geschäftsführer) nicht sah, dass ich während der Arbeitszeit telefonierte. »Dann können wir uns wieder sehen.«
»Wirklich?« Seth hörte sich erleichtert an. »Ich dachte, EHEC wäre irgendwas richtig Schlimmes, wegen dem man ins Krankenhaus muss.«
»Nein, nein«, beruhigte ich ihn. »Nicht, wenn man nur eine Ein-Tages- EHEC –Infektion hat.«
Wow. Vielleicht bin ich nicht die einzige Lügnerin in der Stadt, aber definitiv die schlimmste.
Allerdings hatte ich zumindest ein schlechtes Gewissen, während ich bei Tommy nicht den kleinsten Funken von Gewissensbissen hatte entdecken können, nachdem er Jill angelogen und behauptet hatte, er würde auf die Eastport Highschool gehen.
Fünfzehn Minuten nach Beendigung meiner Schicht im Gulp bog ich auf meinem Rad in die Zufahrt zur Anglerbucht ein und sah mich nach Tommys Wagen um. An der Mole ragten die Maste der Kutter in den Nachthimmel, Falter umflatterten das Licht meiner Fahrradlampe, und die Wellen strömten leise plätschernd an den Kiesstrand. Neben dem Weg parkten ein paar alte Pick-ups. Die sahen allerdings eher aus, als würden sie den alten Männern gehören, die angelnd auf dem Anlegesteg saßen, unter dem sich nachts angeblich immer die dicksten Streifenbarsche tummeln.
Ansonsten sah ich dort nur einen knallroten Jeep Wrangler, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass Tommy Sullivan einen so schicken Wagen fuhr. Wahrscheinlich gehörte er irgendwelchen Touristen, die ihre Yacht hier von einem der Fischer überholen oder die Seepocken entfernen ließen.
Doch als ich näher kam,
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