Wer heimlich küsst, dem glaubt man nicht (German Edition)
was in ihm vorgeht, weil er so schweigsam ist. Früher dachte ich ja noch, das läge daran, dass er so empfindsam und tiefgründig ist und über den Sinn des Lebens nachgrübelt.
Aber im Laufe der Jahre ist mir klar geworden, dass er die meiste Zeit darüber nachdenkt, was er als Nächstes essen soll. In dieser Beziehung tickt er ganz ähnlich wie mein Bruder Liam.
Die wenigsten Jungs sind wirklich tiefgründig, habe ich festgestellt.
Bis auf Tommy Sullivan. Der hat anscheinend tief in seinem Inneren einen Plan geschmiedet, um meinen Aufstieg in die obersten Kreise der Highschool-Hierarchie als Freundin von Seth Turner und beste Freundin von Sidney van der Hoff zunichte zu machen. Es ist offensichtlich, dass er nur abgewartet hat, bis ich den Höhepunkt meines persönlichen Glücks und meiner allgemeinen Beliebtheit erreicht hatte, um mit aller Härte zuzuschlagen. Wahrscheinlich reibt er sich gerade vorfreudig die Hände, bei dem Gedanken daran, wie tief ich fallen werde.
Die Ironie an der ganzen Sache ist, dass ich mich ihm mit meiner Schwäche für gut aussehende Jungs selbst ausgeliefert habe. Wenn er mich nicht beim Herumknutschen mit Eric Fluteley beobachtet hätte, hätte er rein gar nichts gegen mich in der Hand.
Na gut, nichts außer meiner mir offenbar total anzumerkenden Begierde, auch ihn zu küssen.
Gott, was ist bloß los mit mir?
Ich konnte es kaum erwarten, dass die Generalprobe endlich zu Ende war. Aber als ich gerade gehen wollte, fiel Ms Hayes ein, dass wir ja noch keine Bilder gemacht hatten. Also fotografierte ich schnell die tanzende Morgan und auch Sidney, die so posierte, als würde sie singen. Dann packte ich meine Sachen zusammen, küsste Seth zum Abschied und sprang auf mein Rad, um Mr Gatch die Bilddateien noch rechtzeitig vor Redaktionsschluss vorbeizubringen.
»Ich erwarte euch alle morgen pünktlich um achtzehn Uhr hier!«, rief Ms Hayes mir hinterher.
Nach dem emotionalen Trauma, das ich eben durchgemacht hatte, empfand ich es geradezu als entspannend, das Büro der Eastport Gazette zu betreten. Denn ganz egal, welches Drama ich selbst gerade durchlebte – angesichts der Dramen, die sich tagtäglich in den Zeitungsredaktionen von Kleinstädten ereignen, verblasste es zur Unkenntlichkeit. Als ich den Raum betrat, beschwerte sich gerade ein Bürger Eastports lautstark und mit rot angelaufenem Gesicht beim Lokalredakteur über die kläffenden Hunde seiner Nachbarn. Er verlangte, dass in der nächsten Ausgabe darüber berichtet werden müsse, andernfalls würde er sich direkt an die N ew York Times wenden … »Und, glauben Sie mir, das wird Ihnen leidtun!«
Ich sage es ja: Dramen!
Ich lud meine Dateien auf den Computer der Bildredakteurin, die mir versprach, die Aufnahmen durchzusehen und an Mr Gatch weiterzuleiten. Ich dankte ihr und wollte gerade wieder gehen – ich musste schleunigst nach Hause, um mich für meine Schicht im Gulp umzuziehen, denn Peggy erlaubt uns nicht, in Shorts zu bedienen –, als ich jemanden bemerkte, der aus Mr Gatchs Büro kam, und beinahe einen Herzinfarkt erlitt.
Denn dieser Jemand war an die ein Meter neunzig groß, trug Shorts und ein eng anliegendes Surfer-T-Shirt, hatte breite Schultern und halblange rötlich-braune Haare …
… und sah mich nicht.
Was hauptsächlich daran lag, dass ich mich sofort geistesgegenwärtig hinter einen Aktenschrank geduckt hatte.
Ich traute meinen Augen nicht: Was hatte er denn hier zu suchen?
Sobald er gegangen war, stürzte ich in Mr Gatchs Büro, dessen Tür noch offen stand, und fragte atemlos: »Was wollte Tommy Sullivan von Ihnen?«
Mr Gatch hat immer wahnsinnig viel zu tun und ist nicht gerade dafür bekannt, besonders freundlich zu seinen Mitarbeitern zu sein. Erst recht nicht zu irgendwelchen Sechzehnjährigen, die noch zur Schule gehen und nur nebenbei Fotos für ihn knipsen. Er sah von seinem Computer auf und sagte barsch: »Ich wüsste nicht, was dich das angeht, Katie.«
Okay, wir kennen uns nicht besonders gut, aber immerhin hat er mich und nicht Dawn Ferris (die andere Fotografin, die hauptberuflich beim Bürobedarf-Discounter Office Max arbeitet) gebeten, auf der Party zum zweiten Geburtstag seines Urenkels Fotos zu machen. Irgendwie hatte ich angenommen, dass uns dadurch eine gewisse Vertrautheit verband.
Aber da hatte ich mich anscheinend geirrt.
Ich stand unschlüssig in der Tür und überlegte fieberhaft, was ich tun sollte. Ich konnte auf gar keinen Fall gehen, bevor ich nicht
Weitere Kostenlose Bücher