Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
daran, dass sie nicht geschminkt waren.
Während er den Kindern ein Omelette mit Tomaten zubereitete, versuchte er, ein kleines Gespräch mit ihnen zu führen: »Habt ihr was von eurer Mutter gehört?«
»Der ihr Handy ist tot«, sagte Erik
»Auf E-Mails antwortet sie auch nicht«, sagte Janne.
»Das ist kein gutes Zeichen«, sagte van Harm und stocherte in der stockenden Eimasse herum, obwohl dies bei der Omeletteverfertigung zu unterlassen war.
»Muss aber nicht«, sagte Janne, »vielleicht geht es ihr so gut, dass sie einfach keine Nachrichten aus Deutschland gebrauchen kann. Denn seien wir doch mal ehrlich, die meisten Nachrichten, die man kriegt, wenn man irgendwo unterwegs ist, sind doch schlechte. Und die versauen dir dann die schönen Tage und ziehen dich runter.«
Na vielen Dank auch, mein liebes Töchterlein, dachte van Harm, dass du die schlafende Eifersucht weckst.
Nach dem Essen verschwanden die Kinder wieder auf ihrem Zimmer. Kai machte einen kleinen Rundgang durch den Garten, inspizierte das Feld, das Janne und Erik unter Brunos Aufsicht zur Bestellung vorbereitet hatten. Er ging noch einmal in die Scheune, um abzuschätzen, in wie viele Gästezimmer sie sich aufteilen ließ, aber im Grunde wusste er nichts mit sich anzufangen.
Um neun setzte er sich mit seinem Notebook, einem eiskalten Bier und einem Grappa an den Tisch im Hof. Aber mit jeder Minute, die er tatenlos rumsaß, wuchs der Überdruss. Und als ihm schließlich so langweilig war, dass sein Kopf schier explodieren wollte, begann Kai, den ersten Satz zu schreiben. Er musste irgendwas tun. Also warum nicht schreiben. Einfach die Finger über die Tastatur wandern lassen. Nur um sich zu beruhigen, nur für sich selbst. Fürs Seelenheil. Nicht originell sein, nicht an den Sätzen feilen, bis sie zwar schön klangen, man aber eine Ewigkeit brauchte, um ihren Sinn zu verstehen. Niederschreiben, was einem gerade durch den Schädel ging: Die Kirchenruinen, der Friedhof, die Störche. Die Oderlandschaft, die blühenden Rapsfelder, die Zirnsheimer Wiese und der Zirnsheimer Forst. Der fußlahme schwarze Block aus der Stadt und die Dorf-Satanisten. Typen wie Bruno und Frau Wurst, wie Wolf Kretzschmer und Schweinepriester Jagoda mit seiner stinkenden Tierfabrik, wie die falsche Russin und der junge hormongeplagte Förster.
Abgefüllt mit Grappa und Bier, aber berauscht von seinem Schreibanfall, wankte Kai gegen eins in sein Schlafzimmer, ohne zu ahnen, dass sich um dieselbe Zeit Außergewöhnliches in der Altwassmuther Dunkelheit ereignete.
Aber um davon berichten zu können, hatte Bruno ja eigens ihre kleine, zur Gewohnheit gewordenene Abendverabredung aufgekündigt. Und Bruno wäre nicht Bruno gewesen, wenn er, um die Neuigkeiten loszuwerden, nicht besonders früh am folgenden Morgen an Kai van Harms Tür geläutet hätte, nämlich um halb acht.
»Folgendes also is jestern passiert«, sagte Bruno wenige Minuten später, während er das Tässchen mit dem doppelten Espresso, den Kai ihm zur Stärkung bereitet hatte, vorsichtig auf der Untertasse absetzte. Er fing an zu erzählen, und wie er so sorgsam eins ans andere reihte, kam es van Harm vor, als würde er das Geschehene hautnah miterleben, als sei er dabei gewesen.
Als der schwarze Block schließlich in Altwassmuth eintrifft, ist es Abend. Viele der Demonstranten haben Blasen an den Füßen, Nacken und Gesichter sind von der Sonne verbrannt. Die jungen Männer und die wenigen jungen Frauen wirken wie eine aufgeriebene Armee. Man kann sie schon ein paar Meter gegen den Wind riechen, eine Melange aus frischem und altem Schweiß umweht sie. In dieser desaströsen Verfassung treffen sie auf Annalena Petzold und Benjamin Pagel, die tapfer an der Bushaltestelle ausgeharrt haben, um ihre Großstadtgenossen zu empfangen. Annalena und Benjamin sind um einige Jahre jünger als ihre schwarzen Freunde aus der Hauptstadt, sie sind eingeschüchtert vom Auftreten der anderen, und sie fühlen sich schuldig. Obwohl sie natürlich weder für den Busfahrplan des Märkisch-Oder-Kreises etwas können noch für die schlechte Kondition der Berliner Straßenkämpfer. Es kommt zu einem recht einseitigen Wortscharmützel, in dem sich die beiden Altwassmuther Abiturienten ein ums andere Mal dieselben Vorwürfe anhören müssen: Mangelhafte Transportlogistik als Folge mangelhafter Information, die die Demonstration zu einem Debakel sondergleichen gemacht hätten.
Die beiden müssen sich sogar vorwerfen lassen, dass
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