Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
mir selber hat’s eben keener jemerkt. Schleichen und tarnen und mit’m Radd fahrn, statt mit’m Wagen. Und wennet sein muss, ooch mal ’n Paar Schritte zu Fuß jehn, wa? Aber immer schön jebückt und immer schön auf der Hut.«
Kai stand auf und holte sich ein Glas Wasser, in das er ein Aspirin warf.
»Mächtich verkatert, wa? Ick merk dit schon die janze Zeit.«
»Kopfschmerzen«, sagte Kai. »Ich hab gestern gearbeitet. Bis spät in die Nacht. Sehr spät.«
»Jut voranjekommen?«, fragte Bruno, und Kai schien es, als habe Bruno für den Hauch eines Moments mit dem rechten Auge gezwinkert.
»Fünfzehn Seiten.«
»Watte nich sagst.« Und da war es schon wieder, das Zwinkern. Oder hatte Bruno ganz normal geblinzelt, so wie es jeder tat? »Wenn de so lange wach warst, wie de sagst, hättest eijentlich wat hören müssen, von dem janzen Towaboh.«
»Was für ein Tohuwabohu?«
»Dit werd ick dir sagen«, sagte Bruno und setzte seinen Bericht über die Vorkommnisse der vorangegangenen Nacht fort.
Die revolutionäre Berliner Jugend sitzt also im Garten des Pfarrhauses auf gespendeten Bierbänken und lässt es sich gut gehen. Auf dem Grillrost brutzeln Scheiben von Zucchini und Auberginen, Paprikahälften und komplette Lauchstangen. Es gibt Tofusteaks und Seitanwürstchen und mindestens zwei weitere vegetarische Fleischimitationen, die der Pfarrer, wie er zur allgemeinen Belustigung erzählt, über einen Internetversandhandel bestellt hat, weil dergleichen in einem Radius von mindestens fünfzig Kilometern um Altwassmuth nicht zu kaufen sei.
Während des Essens wird beschlossen, dass die wenigen Mädchen die Nacht im ohnehin weitläufigen Pfarrhaus verbringen, während die Jungen sich im Garten einrichten würden. Es ist warm, und auch für die kommenden Stunden hat der Wetterbericht keinen dramatischen Temperatursturz vorhergesagt. Die Gespräche drehen sich jetzt um das Studium, die Schule und um die Herkunftsorte, aus denen ein jeder stammt und die ein jeder hinter sich gelassen hat, um nach Berlin zu gehen ins urbane Abenteuer. Man kommt sich näher, es wird persönlicher. Der Anlass des kleinen Ausflugs scheint so gut wie vergessen.
Man kann also sagen: Die Stimmung ist gut. Das Problem andererseits: Sie ist nicht sehr gut. Und sie ist meilenweit davon entfernt, als »ausgelassen« bezeichnet zu werden. Und das hat einen ganz simplen Grund: Es gibt keinen Alkohol. Es gibt stilles Wasser und sprudelndes, Orangen-, Apfel-und Multivitaminsaft. Es gibt biologische Holunder-und Ingwerbrause, Rhabarber-und Stachelbeerlimonade, es gibt Vollmilch und Ayran. Es gibt im Grunde alles, was das Herz begehrt. Nur eben keinen Alkohol. Dafür aber gibt es unter den Berlinern einige, die den ganzen fairgehandelten, nachhaltig gebrauten Bio-Schmonzes gegen ein einziges billiges Bier vom Discounter eintauschen würden, zur Not sogar gegen eines aus der Plastikflasche.
Zusammengefasst lässt sich also feststellen: Man bekommt im Pfarrhausgarten weder Fleisch zu essen noch Bier zu trinken. Alles in allem ein höchst armseliges Barbecue.
»Das ist jetzt aber deine Interpretation«, sagte Kai.
»Jenau. So wie die janze Jeschichte meine Interpretation is. Damit wirste wohl vorliebnehmen müssen.«
Weil dieses Barbecue mehr oder weniger ein kirchliches ist, wird gegen halb zehn die Glut gelöscht. Da ist es noch nicht einmal richtig dunkel. Alle müssen sich an den Aufräumarbeiten beteiligen, so dass der Garten schon kurz vor zehn in seinen Ausgangszustand zurückversetzt ist. Obendrein ziehen sich die Mädchen ins Pfarrhaus zurück. Sie sind erschöpft und wollen nur noch schlafen. Auch ein Teil der Jungen macht es sich auf oder unter den Bierbänken bequem. Man deckt sich mit Jacken und größeren Transparenten und Bannern zu. Die Rucksäcke dienen als Kopfkissen.
Ein halbes Dutzend aber, genau sechs, zieht es nach draußen. Sie haben sich Benjamin Pagel zur Seite genommen und in kumpelhafter Manier ausgefragt. Nach Tankstellen, die gut erreichbar wären, nach Spätverkaufsstellen. Doch der Pfarrerssohn muss sie enttäuschen, die nächste Tankstelle liegt in der Kreisstadt, und überhaupt fahren die meisten Altwassmuther zum Tanken nach Polen rüber, was die jungen Männer aber nicht weiter interessiert, da sie schließlich kein Benzin trinken wollen.
Die vorsichtige Frage, ob es vielleicht einen geheimen Weinkeller im Pfarrhaus gebe, verneint Benjamin Pagel mit Hinweis auf die strikte Abstinenz seines Vaters. Da er
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