Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
später zur Polizei herüber, »bezeichned im vorliegende Fall koi politisches Kollektiv, sondern a Ansammlong von konkrete physische Persone, von Individue, was hoißt, dass wirklich nur die, wo grad mitgeschrie henn, au gmeint gwäse sind.«
Das schien dann selbst der Polizei zu dumm zu werden, vielleicht wollte sie den Rest des schönen Samstagnachmittags auch nur lieber im Garten verbringen, statt sich hier vorm Bahnhof die Beine in den Bauch zu stehen. Deshalb fiel die nächste Ansage im Ton schon deutlich schärfer aus: »Ich fordere Sie ein letztes Mal auf, den Platz zu räumen. Ansonsten werden Sie die Konsequenzen Ihres Handelns zu spüren bekommen. Das verspreche ich!«
Wenig später begann sich der Block langsam zu bewegen, und während er sich Richtung Bundesstraße 167 aufmachte, angeführt von einem Streifenwagen im Schritttempo, wirbelten abermals die Parolen durch die Luft, und van Harm konnte jetzt eine der politischen Lyrikperlen deutlich verstehen.
»Bauern, Bauern, wir sind da! Die Berliner Antifa!«
»Jute Fahrt jehabt?«, sagte Bruno hinter ihm und hieb Kai auf die Schulter, »schön, dass de wieder da bist.«
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite«, sagte Kai.
»Kühe, Schweine, Ostdeutschland,
wir setzen die Provinz in Brand!«
Der schwarze Block marschierte langsam aus dem Bild und wurde dabei leiser und leiser.
Zu van Harms kleiner Enttäuschung waren weder Janne noch Erik mitgekommen, um ihn abzuholen. Da ihm Bruno aber noch auf dem Weg zum Wagen versicherte, welch großen Sprung sie in den letzten anderthalb Tagen gemacht hätten, was das Erwachsenwerden betraf, die Ausformung ihrer jungen Persönlichkeiten, nahm er es ihnen nicht weiter übel, sondern war insgeheim sogar ein wenig stolz auf sie.
Statt direkt nach Hause zu fahren, machte Bruno einen kleinen Umweg ins Discounter-Paradies, und als sie eine Stunde später, Kofferraum und hintere Sitzbank gefüllt mit Lebensmitteln und Getränken, die Kai heute spendiert hatte, Richtung Altwassmuth fuhren, sang der Johnny Cash der Ostzone einmal mehr seine schaurig melancholischen Alltagsballaden, ohne dass es irgendjemanden störte.
»Kiek mal da«, sagte Bruno. Da hatten sie gerade die Stadtgrenze hinter sich gelassen.
»Ein bisschen tun die mir ja leid«, sagte van Harm und musste an die beiden Mädchen denken, die er vorhin im Regionalexpress beim Pläneschmieden belauscht hatte. Da lief sie nun also, die Berliner Antifa. Der Block hatte sich aufgelöst und in eine unförmige Schlange verwandelt, die am Rand der Bundesstraße Richtung Süden trottete, wo in unendlicher Ferne Altwassmuth, das Ziel, lag. Die Schultern hingen, der Schweiß stand sichtbar auf den Stirnen, die stolzen Transparente und Pappschilder schleiften über den heißen Asphalt, niemand hatte mehr einen flotten Spruch auf den Lippen oder sang ein kämpferisches Lied. Es musste kochen unter ihren schwarzen Klamotten, in die unbarmherzig die Sonne drang. Drei Kilometer Fußmarsch hatten genügt, um die revolutionäre Begeisterung abzutöten.
»Und jetzt kieke mal da rüber«, sagte Bruno eine Viertelstunde später, kurz nachdem sie das Ortseingangsschild von Altwassmuth hinter sich gelassen hatten.
»Wo denn?«
»Na hier, an der Haltestelle«, sagte Bruno und drosselte die Geschwindigkeit des Wagens. Mit 10 Kilometern pro Stunde fuhren sie an dem Wartehäuschen vorbei, wo, wie eine Vorhut der Berliner Truppe, zwei einsame, gleichfalls schwarz gekleidete Gestalten standen und wie ihre Genossen aus der Hauptstadt die Schultern hängen ließen. Auch sie hatten ein zusammengerolltes Transparent dabei, und es waren …
»Annalena Petzold und Benjamin Pagel«, wie Bruno sogleich triumphierend ausrief.
»Die Tochter von, äh …«, versuchte Kai vergeblich mit seinem Wissen über die Dorfinterna zu protzen.
»Karin Petzold, 42«, half ihm Bruno weiter, »jeschieden, studierte Agrar-Ökonomin und heute als Immobilienentwicklerin tätig.«
»Was immer das auch sein mag«, ahmte Kai Brunos Tonfall nach und grinste.
»Und der Sohn vom Popen natürlich«, fuhr Bruno fort und sah in den Rückspiegel, wo die Haltestelle ganz langsam kleiner wurde. »Ein nettes Pärchen, Internetnutzern auch bekannt als …« Er machte eine kleine Pause und sah Kai erwartungsvoll an.
»Ja?«
»Mann, Sherlock, wat is denn los mit dir?«
»Als …äh …«
»Als Revolutionäre Jugend-Aktion Märkisch Oderland «, sagte Bruno, »du stehst heut janz schön uffm Schlauch, mein
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