Wer im Trueben fischt
Gepäckträger ab und schaute aus dem Fenster. Sie sah graue Altbauten und eine Tankstelle. Die Sonne schien noch immer warm. Am Gleisdreieck stieg ein Mann zu. Er setzte sich ihr gegenüber und betrachtete interessiert ihr Fahrrad. Emma spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. An der nächsten Haltestelle stieg sie aus.
Der gezackte Aluminiumbau leuchtete schon von weitem in der Sonne. Auf einer Treppe zu einem Nebeneingang saßen zwei Männer in orthodoxer Tracht mit langen Locken an den Seiten. Sie wickelten ihre Brote aus und hielten ihr Gesicht in die wärmenden Sonnenstrahlen. Emma kettete ihr Rad an und ging in das Museum. Am Eingang sagte sie, sie sei mit dem Archivar Selkov verabredet. Dann musste sie durch eine Metallschleuse gehen, wie am Flughafen. Ihr Aufnahmegerät weckte Interesse, sie sollte es auspacken und vorzeigen. Erst dann durfte sie passieren. Etwas beklommen von den Vorsichtsmaßnahmen packte sie ihre Sachen wieder ein. Am Ende des Flurs stand ein Mann in schwarzen Lederhosen. Er hatte das schütter werdende Haar zu einem langen Pferdeschwanz gebunden.
»Frau Vonderwehr? Ich bin Aaron Selkov.«
Sie schüttelten sich die Hände, und Emma folgte ihm ins Innere des Museums. Durch eine Seitentür verließen sie den Ausstellungsbereich. Sie gingen an vielen Türen vorbei, bogen mehrmals ab oder stiegen ein paar Stufen hoch oder runter.
Dieses Haus ist ein Labyrinth, dachte Emma, während sie fasziniert den wippenden Pferdeschwanz vor sich beobachtete, allein finde ich hier nie mehr raus. In dem Moment drehte sich der Mann vor ihr um.
»Warum interessieren Sie sich für die Rosenbergs?«
»Ich versuche herauszufinden, was Tom Rosenberg in den letzten Tagen hier in Berlin getan hat. Ich glaube, er hat nach seinen Großeltern geforscht.«
Oder nicht? Sie hatte nur die Aussage der Universitätsreferentin. Plötzlich war sie sich ihrer Sache nicht mehr sicher. Sie machte ein paar schnelle Schritte, um neben dem Archivar gehen zu können.
»Vielleicht irre ich mich aber auch. Hätte er nicht in dem Fall zuallererst Sie aufgesucht?«
Der Mann blieb abrupt stehen. Er legte seine Hand auf eine Türklinke und sah Emma nachdenklich an.
»Wissen Sie, wir haben hier nur sehr allgemeine Informationen. Haben Sie nicht erzählt, seine Großmutter hat ihn aufgezogen?«
Emma nickte.
»Ja, das habe ich zumindest so gehört.«
»Dann wusste er vielleicht schon alles, was wir zu bieten haben. Und interessierte sich für ganz andere Quellen.«
»Welche könnten das sein?«
Der Mann lächelte. Er öffnete die Tür und winkte Emma hindurch.
»Wir sollten erst einmal herausfinden, ob Caro Rosenberg überhaupt Ihr Mann ist.«
Das Archiv des Jüdischen Museums war in einem scheinbar endlosen schmalen Gang untergebracht. Rechts standen kleine Tische mit Nutzerterminals, links die Regale. Große Räder waren in Abständen daran befestigt. Wenn der Archivar an einem Rad drehte, glitten sie zur Seite und schlossen eng aneinander auf.
Selkov hatte sich kurz an einen PC gesetzt und die Nummer herausgesucht. Jetzt ging er die Reihen der Regale ab. Er drehte an einem Rad, ein Regal glitt zur Seite, und ein Gang öffnete sich.
»Kommen Sie bitte.«
Im Innern des Gangs sah Emma geschlossene Schubladen bis unter die Decke. Sie waren durchnummeriert. Selkov ging die Reihe ab. Dann blieb er stehen und ging in die Hocke. Emma machte es ihm nach.
»Mal sehen, was uns Caro Rosenberg zu erzählen hat.«
Ganz vorsichtig zog der Archivar die Schublade auf. Dort herrschte ein Durcheinander wie in einem normal gebrauchten Schreibtisch. Fragend sah Emma zu Selkov, er nickte.
Sie zog ein silbernes Etui aus der Lade. Ein Brillenetui. Es war elegant geschwungen. Sie öffnete es. Das Futteral aus blauem Samt war leer. Emma schaute hoch.
»Wie kommen Sie an die Sachen?«
»Vieles sind Schenkungen von der Familie. Auch Nachlässe. Bei den Juden, die 33 fliehen mussten, ist es schwieriger. Das meiste wurde von den Nazis aufgeteilt. Den Rest nahmen dann die lieben Nachbarn mit.«
Selkov nahm ihr das Etui aus der Hand und drehte es um.
»Das hier wurde bei einem Pfandleiher gefunden. Sehen Sie.«
Emma beugte sich über das Etui. Caro Rosenberg stand dort eingraviert.
»Das meiste wird durch Zufall gefunden. Wir haben mittlerweile ein ganz gutes Netz von Hobbydetektiven.«
Behutsam legte Emma das Etui zurück in die Lade, neben ein Nadelkissen mit gestickten Blumen. Ihre Hände strichen über ein paar alte Bücher, Gedichte und
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