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Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Titel: Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
Autoren: Julia Baehr , Christian Boehm
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verbringen, kommt mir Francesco zu Hilfe. Er packt die Nonna, die sich an mich klammert, als würde sie gleich untergehen. Aus Luisas Gesichtsausdruck schließe ich, dass es die Nonna mit ihrem Anlehnungsbedürfnis ein bisschen übertreibt. Also nutzt sie die erste Gelegenheit, ihren Platz an meiner Seite einzunehmen. »Mein Mann«, flüstert sie, während Francesco die Großmutter bei ihrem Sohn Salvo abliefert und ihr das Glas wegnimmt.
    »Basta! Nonna!«
    Endlich. Alles wird gut. Was für ein wunderschöner Tag. Die Vögel zwitschern fröhlich, und der Geruch von frisch gemähtem Gras kitzelt in der Nase. Ich liebe den Duft des Herbstes. Die Sonne scheint auf meinen Rücken. Was sollte jetzt noch schiefgehen? Ich schäme mich für meinen kurzen Anflug von Paranoia.
    Bald darauf ist ein riesiges Vorspeisenbüfett aufgebaut. Antipasti misti. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Von warmem Oktopussalat, den ich kiloweise in mich hineinschaufeln könnte, bis zu gegrillter Salsiccia und eingelegtem Gemüse ist alles dabei, was ein hungriges Herz begehrt. Luisa unterhält sich angeregt mit Anette, ich mit den Zwillingen, die verdächtig lallen und jede Silbe unnatürlich in die Länge ziehen. Dabei werfe ich sicherheitshalber immer mal wieder einen Blick Richtung Franziska, die überraschend harmlos wirkt und Mike schmachtende Blicke zuwirft. Mutters Begleiter Dominik hält Priska einen Vortrag über die Nouvelle Vague, den ich nicht weiter verfolge.
    Ich freue mich meines Lebens, als jemand ruckartig an meinem Ärmel zupft. »Nonna«, will ich gerade sagen, komme aber nur bis zu »No…«
    »Was no? Icke dich nicht verstehe, Marco. Hast du gesehen die Nonna?« Salvo scheint wirklich besorgt. Sein Blick flackert, seine Stirn liegt in Falten.
    »No«, wiederhole ich und sehe mich um.
    »Isse nicht witzig. Die Nonna isse weg.« Onkel Salvo setzt mit seiner Pavarotti-Stimme die Festgesellschaft über die jüngsten Entwicklungen in Kenntnis. Er und mein Schwiegervater stellen sofort einen Suchtrupp zusammen, dem Francesco, Barnie und ich angehören.
    »Sie kann ja nicht weit sein. Wir sind gleich wieder da«, beruhige ich meine Frau.
    »Es wird doch nichts passiert sein?«
    »Wahrscheinlich hat sie sich aus Liebeskummer in den Fluss gestürzt«, meint Francesco grinsend.
    »Avanti!« Salvo bläst zum Aufbruch.
    Luisa gibt mir einen Kuss als Wegzehrung mit.
    Im Umkreis von einem halben Kilometer drehen wir fast jeden Stein um, schauen hinter jeden Busch und Baum. Einmal verirre ich mich sogar in einem Maisfeld. Nur mit viel Glück finde ich nach einem fünfzehnminütigen Gewaltmarsch wieder heraus. Kurz darauf höre ich, wie jemand meinen Namen ruft. Ich folge der Stimme.
    »Ich hab sie!«, schreit Francesco und winkt mir aufgeregt zu, als ich nahe genug bin.
    Die Nonna steckt zwischen dem Weg zum Wasserwerk und einem Flüsschen bis zur Hüfte im Schlamm und jammert. Wenn wir sie eine halbe Stunde später gefunden hätten, wäre sie wahrscheinlich bis zum Hals eingesunken gewesen. Als sie uns sieht, setzt ein Redeschwall ein: Sie habe sich nur kurz die Beine vertreten wollen, und was das hier eigentlich für ein gemeingefährlicher Weg wäre. Die Nonna verstummt nicht mal, als wir sie an den Armen packen. Während wir sie mit vereinten Kräften aus dem Dreck ziehen, fängt sie laut an zu fluchen: »Vaffanculo a dio, alla croce, al carpentiere che ha fatto la croce – e a quel figlio di puttana che ha piantato l’albero!«
    Eigentlich will ich gar nicht wissen, was sie genau sagt. Aber auf dem Rückweg höre ich mit halbem Ohr, wie Francesco für Barnie übersetzt und beide dreckig lachen.
    »Was hat sie gesagt?« Okay. Ich bin doch neugierig.
    Während wir hinter der ungebremst fluchenden, völlig verdreckten Nonna wie drei Schulbuben herdackeln, übersetzt Francesco nun auch für mich: »Ich scheiß auf Gott, auf das Kreuz und auf den Zimmermann, der es gemacht hat – und auf den Hurensohn, der den Baum gepflanzt hat.«
    Rührend, ihre Altersmilde.
    Luisa
    Ich kann das Lachen nur mühsam unterdrücken, als ich meine Nonna auf mich zukommen sehe. Ihre untere Körperhälfte ist voller Schlamm, der an manchen Stellen bereits hell eingetrocknet ist. Zum Glück ist es ein warmer Septembertag. Direkt repräsentabel sieht es allerdings nicht aus. Ich mache mich aus dem Staub, ehe sie noch von mir verlangen kann, ihr eine Dusche und neue Kleidung herbeizuzaubern. Mit Marie, Verena und Anna verziehe ich mich in eine ruhige Ecke.
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