Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
der Monsignore blickt uns streng an. Mark findet das bestimmt gruselig, aber ich mag es so. Pfarrer müssen nicht unbedingt locker sein und im Gemeindezentrum Schlagzeug spielen, und dieser fällt ganz klar nicht in diese Kategorie. Für die Lesung hat meine Mutter, die bibelfester ist als ich, uns den Brief des Apostels Paulus an die Römer vorgeschlagen. Francesco liest ihn vor, und er macht das großartig. »Eure Liebe sei ohne Heuchelei. Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten!«, rezitiert er eindrücklich und schaut uns aus seinen großen braunen Augen an. Ich bilde mir ein, Marie hinter mir leise seufzen zu hören. Die Arme, sie ist verloren. Wahrscheinlich hat sie schon ein Flugticket nach Stockholm gebucht. Francesco ist sogar so freundlich, das brüderlich in »Seid einander in brüderlicher Liebe zugetan« zu unterschlagen. Er hat wohl Bedenken, wir hätten bald getrennte Schlafzimmer, wenn man uns Brüderlichkeit wünschen würde.
Eigentlich wollten wir ja nicht nur einfach Ja sagen, sondern den Vermählungsspruch auswendig lernen. Zumindest hatten wir das mal so vereinbart. Dann haben wir nicht mehr darüber gesprochen, also hat Mark es in der Zwischenzeit sicher vergessen. Ist ja auch nicht schlimm. Ich bin mir selbst nicht mehr so ganz sicher, wie er geht, dabei habe ich wahrscheinlich alle Schmachtfetzen gesehen, die Hollywood zu dem Thema jemals hervorgebracht hat. Ja sagen, das bekomme ich auf jeden Fall hin. Und dann kommt er, der große Moment. Und die große Überraschung.
»Vor Gottes Angesicht nehme ich dich an als meine Frau«, sagt Mark ernst. »Ich verspreche dir die Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis der Tod uns scheidet. Ich will dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens.«
Er hat es nicht vergessen.
Er hat es auswendig gelernt.
Mir schießen Tränen in die Augen, als Mark mir den Ring ansteckt. »Trage diesen Ring als Zeichen unserer Liebe und Treue. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.«
Stille.
Immer mehr Tränen laufen sturzbachartig über meine Wangen. Wenn das so weitergeht, müssen wir Schwimmwesten verteilen. Tief durchatmen, zwinge ich mich. Ruhig Blut. Denk an was Schlimmes. Fußpilz, Herpes, Norovirus. Ich höre die Festgemeinde hinter meinem Rücken tuscheln. Mark sieht mich voller Liebe und Mitgefühl an und kramt ein Taschentuch für mich aus seiner Hose.
Jetzt bin ich dran. Und dann kommt die zweite Überraschung: Ich weiß das Gelübde nicht mehr. Dabei habe ich es doch eben noch gehört. Hilfesuchend schaue ich Mark an, der meine Verwirrung zum Glück sofort richtig deutet und mir zuflüstert: »Vor Gottes Angesicht …« Ich stammele die Sätze nach – so gut man das eben tun kann, wenn man vor lauter Schluchzern keine Luft bekommt.
»Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen«, erklärt der Monsignore feierlich, und ich denke an das Erlebnis mit Marks Exfreundin aus der Hölle und das Jobangebot in Paris, und dass uns das alles nicht mehr in die Quere kommen wird.
Dann ist die Trauung vorbei. Mark zieht mich zu sich heran und küsst mich zart auf den Mund. Meine Mutter schnaubt vernehmlich in ein Taschentuch. Musik setzt ein, aber es ist die falsche. Ein leichter Walzertakt. Wir hatten doch Mendelssohn Bartholdy vereinbart. Es ist auch gar nicht die Orgel. Wo kommen die Gitarren auf einmal her? Ich löse mich von Mark und blicke zur Empore hoch. Dort stehen eine kleine Band und ein eindrucksvoll dicker Mann, der loslegt: »When the moon hits your eye like a big pizza pie … That’s Amore!« Sein Bariton füllt die Kirche, und ich muss noch mehr weinen und gleichzeitig lachen. »Ist das von dir?« Ich strahle meinen Mann an.
»Nein.«
»Nein? Von wem denn dann?«
»Von Dean Martin, Liebste.«
Beim nächsten Refrain stimmen unsere Gäste ein. Offensichtlich haben sie geübt. »Bells will ring, ting-a-ling-a-ling, ting-a-ling-a-ling, and you’ll sing vita bella. Hearts will play, tippy-tippy-tay, tippy-tippy-tay, like a gay tarantella.« Mein Vater schmettert die Zeilen voller Inbrunst, Marie lässt Francesco nicht aus den Augen, und ich ergreife Marks Arm. Jetzt sind wir tatsächlich verheiratet, so richtig, mit allem Drum und Dran, vor dem Staat und Gott und der Kirche und allen Engeln und Heiligen. Kurz horche ich in mich hinein, ob da etwas wie Panik aufkommt. Etwas wie: Soeben haben sich dreieinhalb Milliarden Türen geschlossen, und jetzt bleibt keine Wahl
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