Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
gut aus. Noch einmal geblitzt werden, und ich kann den Lappen für einen Monat abgeben.
Abgesehen davon bin ich nicht in Eile. Der Kongress beginnt offiziell in einer halben Stunde, das heißt mit akademischem Viertel frühestens in fünfundvierzig Minuten. So lange dauert beim Fußball eine Halbzeit. Ich bin gut vorbereitet. Nasen und Ohren sind mein Spezialgebiet. Im Grunde halte ich aber den einen, vor Jahren ausgearbeiteten Vortrag immer wieder, ergänze das Manuskript nur punktuell um aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung oder frisch importierte Operationsmethoden.
Mit einem breiten Grinsen und zwei gehauchten Küsschen auf die Wangen empfängt mich die Vertreterin der Pharmafirma, die den Kongress sponsert. Ort der Veranstaltung ist ein ziemlich geräumiger Konferenzsaal in einem Fünf-Sterne-Hotel am Hauptbahnhof. »Schön, Sie wiederzusehen, Herr Doktor Schwarz«, sagt sie.
Ich bin nicht so gut im Merken von Namen und muss den ihren vom Schildchen auf ihrer weißen Bluse ablesen. »Wie geht’s Ihnen, Frau Ebenwald?«
»Danke, gut. Wir freuen uns schon sehr auf Ihren Vortrag.«
Der Vortrag ist reine Routine, mein Publikum ein dankbares. Allgemeinmediziner, die sich vor dem Sieben-Gänge-Menü und dem Auftritt von Eckart von Hirschhausen ein bisschen weiterbilden wollen. Höflicher Applaus.
Da ich Luisa versprochen habe, zeitig zu Hause zu sein, verabschiede ich mich vor der Kabaretteinlage von meinen Tischnachbarn. Auf dem Weg zur Tiefgarage stellt sich mir Frau Ebenwald in den Weg, faselt etwas von einem Kongress in Nizza im September und fragt, ob ich dort referieren könnte. »Tut mir leid«, schlage ich das Angebot aus. »Ich heirate im September.«
»So, so«, zischt eine falsche Schlange hinter mir.
Am liebsten würde ich mich nicht umdrehen, das Zischen und Züngeln einfach überhören und einfach weitergehen. Mein Verstand sagt aber, dass das ziemlich kindisch wäre. Abgesehen davon ist die Wunde längst verheilt. Ich sage »Auf Wiedersehen« zu Frau Ebenwald und »Hallo« zu meiner Exfreundin.
Franziska sieht fantastisch aus. Wie die junge Liz Taylor. Ihre stahlblauen Augen haben nichts von ihrem Funkeln verloren und die pechschwarzen Haare nichts von ihrem Glanz. Sie trägt einen ziemlich kurzen schwarzen Rock zu einem engen schwarzen Oberteil. Ich scanne sie mit fachmännischem Blick, kann aber keinen äußeren Makel feststellen. Nicht mal eine winzige Hautunreinheit.
»Gut siehst du aus«, sagt sie und setzt einen Hypnoseblick auf, wie man ihn seit der Schlange aus dem Dschungelbuch nicht mehr gesehen hat.
Ich kann mich gerade noch davon losreißen. Wie oft habe ich mich schon von diesem Blick einlullen lassen? Das erste Mal nach ihrer monatelangen Affäre mit einem Oberarzt zum Beispiel, als ich eigentlich schon Schluss machen wollte. Oder nach ihrem Fremdgehen mit einem Kommilitonen auf der Staatsexamenparty. Es gibt solche Frauen, von denen kommst du einfach nicht los. Du weißt, dass sie dir nicht guttun. Dass sie Katz und Maus mit dir spielen. Dass sie dich in den Abgrund reißen werden. Aber sie haben dich am Haken. Eigentlich hätte ich froh sein müssen, als sie mit diesem Schnösel nach Hamburg abgehauen ist. Tatsächlich aber war ich danach wochenlang nicht ansprechbar, am Boden zerstört, ohne Antrieb. Ich fühlte mich wie ein Segelschiff ohne Segel auf dem offenen Meer. Wäre Barnie nicht gewesen, der mir in dieser Zeit immer wieder gut zuredete, aber auch schimpfte, dass ich endlich aufhören sollte, im Selbstmitleid zu baden, hätte ich das nicht überlebt. Richtiger Liebeskummer ist mehr als nur ein bisschen Herzschmerz. Er war wie kalter Entzug.
»Du heiratest also«, gibt Franziska einen kurzen Lagebericht mein Leben betreffend. Es hört sich an wie ein Vorwurf.
»Was dagegen?«
»Mich wolltest du nie heiraten. Jedenfalls hast du nie gefragt.«
»Wie alt waren wir?«
»Ende zwanzig, Anfang dreißig. Ich hätte Ja gesagt.«
»Bevor oder nachdem du dich durch die halbe Uniklinik gevögelt hast?«
Franziska winkt ab. »Olle Kamellen«, findet sie, hakt das Thema Heiraten ab und sich bei mir unter. So zieht sie mich hinter sich her. In der Hotelbar bestellt sie zwei Mojitos. »Auf uns«, spricht sie einen Toast aus, nachdem der Barkeeper seine Mixdemonstration beendet hat.
»Ganz bestimmt nicht«, markiere ich den harten Kerl, befreie das Glas vom Strohhalm und nehme einen kräftigen Schluck.
»Ich wohne jetzt wieder in München«, erzählt Franziska ungefragt.
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