Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
Jeans mit ihrem Outfit korrespondieren. Die beiden geben ein hübsches Paar ab. Ich warte auf irgendeine zärtliche Geste zwischen ihnen, eine Berührung oder sogar einen Kuss, aber da warte ich vergebens: Sie behandeln einander mit der gleichen Mischung aus Respekt und Distanziertheit wie Kronprinzenpaare in der Öffentlichkeit. Das scheint aber mehr an Lilly zu liegen, denn Barnie sieht sie verdächtig oft schmachtend von der Seite an.
Das Essen verläuft ohne ungewöhnliche Ereignisse – wenn man mal von Barnies Hundeblick absieht. Und von der Tatsache, dass er sich förmlich dazwischenwirft, als Mark Crémant einschenken will.
»Halt! Für mich nur ganz wenig, bitte.«
Irritiert schaut Mark ihn an. Ich verdrehe möglicherweise ein kleines bisschen die Augen, was aber niemand bemerkt. Hoffentlich.
»Lilly darf doch nicht, und da will ich solidarisch sein.«
»Barnie, das ist doch albern«, widerspricht Lilly mit ihrer tiefen Stimme.
»Wir hätten auch Apfelsaft«, bemerkt Mark etwas hilflos.
Apfelsaft. Und Barnie. Barnie und Apfelsaft. Irre!
Obwohl sie Barnie offenbar gezähmt hat, macht Lilly mir ein bisschen Angst. Vielleicht auch gerade deswegen. Sie ist freundlich, kann bei allem mitreden und hat sogar Humor. Aber warm werde ich nicht mit ihr. Sie kommt mir zu perfekt vor. Wenn sie wenigstens einen dicken Hintern hätte oder eine peinliche Marotte, das würde schon helfen. Sagen wir, eine Bierdeckelsammlung. Eine Lilly mit Bierdeckelsammlung könnte meine Freundin werden. Bei Lilly ohne Bierdeckelsammlung bin ich mir nicht so sicher. Trotzdem muss ich sie jetzt ins Wohnzimmer lotsen und dort bespaßen.
»Komm, Lilly«, sage ich und stehe auf.
Lilly schaut mich fragend an. »Wo gehen wir hin?«
»Ins Wohnzimmer. Ich habe die Hauptspeise gekocht und den Nachtisch vorbereitet, deshalb darf Mark jetzt die Küche aufräumen. Und Barnie muss kontrollieren, dass er das anständig macht.«
Ja, ich weiß schon. Nicht gerade ein Knallerargument, aber mehr ist mir jetzt nicht eingefallen. Außerdem funktioniert es. Lilly greift nach ihrem Glas und folgt mir bereitwillig ins Wohnzimmer. Wir lassen uns aufs Sofa fallen und hecheln erst mal die üblichen Schwangerschaftsfragen durch, die man in Anwesenheit von Männern eher nicht stellt: Übelkeit? Kurzatmigkeit? Fressattacken? Man kann das natürlich alles auch in männlicher Gesellschaft fragen, aber dann darf man keine ehrlichen Antworten erwarten. Lilly antwortet bereitwillig: Übelkeit ja, kurzatmig auch, Fressattacken nein. Dabei schaut sie immer wieder zu meinem Bücherregal, als lenke sie etwas ab. Dabei ist das Regal völlig unauffällig. In der Mitte stehen die guten Bücher, oben die langweiligen und unten die Kitschromane, die ich lese, wenn ich krank bin oder dringend erholungsbedürftig. Ich schäme mich ein bisschen dafür und verstecke sie dann immer unter meinem Kopfkissen, damit Mark mich nicht aufzieht. Ein einziges Mal hat er mich mit einem erwischt und staunend den Klappentext gelesen: »Drei Frauen in Cornwall, die sich zufällig treffen und merken, dass sie in einem früheren Leben Schwestern waren? Und dann verliebt sich die erste in den Pubbesitzer, die zweite in einen Künstler und die dritte in den Landarzt? Luisa, das ist ja totaler Blödsinn.«
Pah. Erstens brauche ich mir so was nicht von jemandem sagen zu lassen, der ein Fußballspiel als kulturellen Höhepunkt des Jahres betrachtet, und zweitens darf ich mich ja wohl auch mal der leichten Muse widmen, wenn mir danach ist. Das habe ich zumindest gegenüber Mark vehement vertreten. Mich vor Lilly für die gesammelten Werke von Nora Roberts, Rosamunde Pilcher und Konsorten rechtfertigen zu müssen, würde mir jetzt allerdings schwerfallen.
»Darf ich mal deine Bücher sehen?«, fragt Lilly und ist schon aufgesprungen. Ganz schön schnell für eine Schwangere. Wie eine Cruise Missile steuert sie auf meine Kitsch-Ecke zu und liest die Titel. Dann dreht sie sich langsam um. Aber sie grinst gar nicht, sie strahlt.
»Du liest das auch!«
»Äh, was?«
»Nora Roberts! Die Zeit-Trilogie!«
Kurz überlege ich, ob ich es einfach abstreiten soll. Vielleicht kann ich den Besitz der Bücher Mark unterschieben. Das wäre zwar reichlich niederträchtig von mir, aber … Nichts aber. Reichlich niederträchtig. »Ja, stimmt«, gebe ich nach kurzem Zögern zu.
»Ich auch!«, jauchzt Lilly. »Aber die Sturm-Trilogie kenne ich noch nicht. Leihst du sie mir?«
Ich breche in Gelächter aus.
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