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Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Titel: Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Baehr , Christian Boehm
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Witze? Sag nicht, du hast es vergessen.«
    »Vergessen, was denn?« Allmählich wird mir ein bisschen mulmig.
    »Luisa, sagen dir die Stichworte Wochenende, Familientreffen und Toskana irgendwas?«
    »O nein. Das ist dieses Wochenende?«, hauche ich und presse mir die Hände auf die Augen.
    »So sieht’s aus.«
    »Hurra.« Ich trolle mich in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Ich habe das Treffen vergessen oder verdrängt, aber nicht nur aus Schusseligkeit, sondern teilweise aus psychohygienischen Gründen. Meine Familie ist so unglaublich anstrengend, dass ich diese Familientreffen nach Möglichkeit meide. Zwischen all diesen lauten, vor Temperament nur so sprühenden Menschen fühle ich mich oft unglaublich langweilig und spaßbefreit. Irgendwie deutsch eben. Wenn meine Eltern dabei sind, geht es meist besser, aber morgen wird ja meinem Vater das Melanom weggeschnitten. Wir müssen also ohne sie fahren. Andererseits ist meine italienische Verwandtschaft wunderbar herzlich. Und natürlich wollte ich vor der Hochzeit Mark vorführen. Deshalb hatte ich ja auch zugesagt. Jetzt erinnere ich mich wieder. Es gibt da nur noch ein Problem. Ich gehe zurück zu Mark ins Schlafzimmer und setze mich auf die Bettkante.
    »Du, ich müsste mal mit dir reden.«
    »Mhm.« Mark klappt seinen Koffer zu und setzt sich drauf, um ihn besser schließen zu können.
    »Es geht um meine Großmutter mütterlicherseits.«
    »Den Drachen?«
    »Ja, genau.« Nonnas Ruf eilt ihr voraus.
    »Was gibt es da zu erzählen?«
    »Ich wollte dich nur vorwarnen, dass sie wirklich ein Biest ist. Und es kann sein, dass ich mich mit ihr deswegen streite.«
    »Warum sollte mich das beunruhigen?«
    »Weil ich eventuell den Kürzeren ziehe und mich dann noch mehr aufrege. Tagelang.«
    »Aha«, sagt Mark unsicher und zupft an seinen Haaren herum. Offenbar dämmert ihm, dass eine tagelang schlecht aufgelegte Luisa nicht die angenehmste Reisebegleitung wäre.
    »Aber ich werde mir Mühe geben, die Situation nicht eskalieren zu lassen und Nonna aus dem Weg zu gehen«, erkläre ich, als wäre es ein Mantra.
    »Das wäre nett.« Mark wirkt ein wenig beunruhigt.
    »Mach dir keine Sorgen. Zu dir ist sie sicher ganz reizend. Du musst nur immer ›si, si‹ antworten, wenn sie was sagt. Dann wird sie nicht einmal merken, dass du kein Italiener bist.«
    »Und wenn sie das doch bemerken würde, wäre das ein Problem?«
    Ich ziehe es vor, zu dieser Causa zu schweigen.
    Mark
    Es riecht nach Putzmittel. Nach diesem fiesen antibakteriellen Zeug, das ich zu Hause fürs Bad benutze, wenn mich Meister Proper im Stich lässt. Ich bin begeistert. »Super, oder?«, frage ich Luisa, die skeptisch dreinblickt, als ich die Tür zu unserem Schlafwagenabteil hinter uns schließe. Ich fühle mich schlagartig in meine Sturm-und-Drang-Phase versetzt, als ich per Interrail durch halb Europa getourt bin, bis nach Marokko runter. Endstation Marrakesch, wo sie ja jetzt alle hinpilgern, und an den Fuß des Atlasgebirges. Heute fallen mir zu Atlas nur noch zwei Dinge ein: ADAC und erster Halswirbel. Irgendwie traurig, wie schnel l sich die Vergangenheit von der Gegenwart entfernt.
    In unserem ganz in Weiß gehaltenen Deluxe-Abteil ist es etwas beengter. Die übereinanderliegenden Betten sind schon in der Horizontalen, die Daunendecken zurückgeschlagen. Wir haben einen ausklappbaren Tisch, einen Kleiderbügel, einen Waschlappen, zwei Handtücher, Seife und Mundspülung. Außerdem ein eigenes Bad mit Dusche und WC. Ich finde es gemütlich, Luisa schweigt. Wenn Luisa nichts sagt, ist das schlecht. Sie wollte fliegen, ich mit dem Auto fahren. Den Nachtzug habe ich als Kompromiss gebucht.
    »Na ja«, kommentiert sie dann doch noch, als sich um kurz nach neun der City Night Line am Münchner Hauptbahnhof Richtung Rom mit Halt in halb Tirol, Verona, Bologna und Florenz in Bewegung setzt. In Florenz werden wir dann von einem Cousin oder Onkel von Luisa abgeholt. Tutto va bene.
    Ich schiebe das Kabinenfenster auf. Warme Nachtluft strömt herein. Die östlichen Vororte der bayerischen Landeshauptstadt ziehen vorbei. Herrlich, nicht im Flugzeug dem sicheren Absturz entgegenfliegen zu müssen, sondern gemütlich mit Bodenkontakt zu reisen. Luisa macht es sich in ihrer Koje bequem. Sie blättert in einem Buch. Ich kenne weder Titel noch Autor. Wahrscheinlich etwas sehr Kritisches. Eine Familiengeschichte, die in der DDR spielt. Ich hole einen Vino nobile di Montepulciano aus meiner Reisetasche, zwei

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