Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
doch arbeiten!«
»Bla, bla, arbeiten«, wiegelt der beste Vater der Welt ab. »Schau mich an, schon morgen kannst du krank sein, und dann hast du immer nur gearbeitet. Deine Mutter findet auch, wir sollten jetzt nicht Trübsal blasen. Du sagst deinem Chef, es gibt einen Notfall in der Familie. Das ist doch nicht mal gelogen. Und dann probierst du den Rest des Tages Brautkleider an.«
»Danke, Papa«, seufze ich.
Anderthalb Stunden später stehe ich im ersten Brautmodengeschäft und betrachte mich inmitten von weißen Vorhängen stumpf in einem dreiteiligen Spiegel mit Goldrahmen. Eigentlich ist heute nicht der beste Tag für diese Unternehmung. Die Halogenstrahler beleuchten detailliert meine hysterischen Flecken auf den Wangen, die seit dem Telefonat mit Mark offenbar nicht mehr verschwinden wollen. Meine Haare hängen wie Schnittlauch über meine Schultern, die ihrerseits hängen. Besonders brautmäßig fühle ich mich nicht gerade. Wenn überhaupt, dann eher nach Kriegsbraut. Meine Mutter dagegen ist voll in ihrem Element und hat die Verkäuferin mit irgendwelchen Instruktionen geimpft, in denen verdächtig oft die Worte »Strasssteinchen« und »Tüll« vorkamen. Ich habe die Zeit genutzt, um per SMS einen Hilferuf an Marie zu senden, in dem wiederum die Worte »grauenvoll« und »Kitschhölle« eine wichtige Rolle spielten.
»So, da bin ich wieder!« Mit einem voll behängten Kleiderständer auf Rollen und einem professionellen Lächeln rast die Verkäuferin auf mich zu. Sie ist ungefähr zwölf Jahre alt, hat aber beneidenswerte Kurven und wahrscheinlich ein paar prima Demütigungen für fehlproportionierte Bohnenstangen wie mich auf Lager. Sie ist die Sophia Loren unter den Verkäuferinnen. Ich will meine Hose nicht ausziehen. Hinter der Verkäuferin biegt meine Mutter um die Ecke.
»Wir haben ganz tolle Kleider für dich ausgesucht, Luisa. Die werden dir sicher gefallen.«
»Ja? Schön«, murmele ich schwach und betrachte das erste Kleid auf dem Ständer. Es erinnert mich an das Winterfest der Volksmusik, in das ich mal versehentlich hineingezappt habe.
»Hier ist Ihre Umkleide«, sagt das kleine Busenwunder und zieht resolut die Vorhänge zu einer großen Kabine auf. Ergeben trotte ich hinein und frage mich, welche Unterwäsche ich eigentlich gerade trage. Hoffentlich nichts Schwarzes. Das würde sonst sicher durchscheinen. Ach nein, es ist Hellblau. Das muss genügen, heute ist nicht der Tag für Perfektion. Ich ziehe Hose und Bluse aus und greife nach dem Kleid, das Sophia Loren mir hineinreicht. Vorsichtig stecke ich meinen Kopf und meine Arme hindurch – und dann passiert es: Ich stecke fest.
»Grlhmpf.«
»Wie sieht es aus, Liebes?«, ruft meine Mutter.
»Ich weiß nicht. Ich bin noch nicht drin«, sage ich nicht ganz wahrheitsgemäß. Denn drin bin ich ja schon, zur Hälfte. Nur komme ich nicht mehr raus, wie ich nach einer halben Minute vergeblicher Versuche feststelle. Jetzt stehe ich vor der Wahl, mir die Schulter auszukugeln oder mich in die peinlichste Situation meines Lebens zu begeben.
»Ich bräuchte da mal Hilfe«, sage ich kläglich. Und höre, wie der Vorhang aufgerissen wird. Sehen kann ich nichts. So ein dünner weißer Stoff kann in mehreren Lagen doch recht blickdicht sein. Und leider kann ich mir deshalb nur vorstellen, wie Sophia Loren dreinschaut, als sie zwei nackte Beine, einen weißen Stoffballen und oben zwei periskopartig herausragende Hände sieht. Wie meine Mutter schaut, weiß ich. Die höre ich nämlich lauthals lachen.
»Das ist nicht witzig!«, schimpfe ich los.
»Doch, mein Schatz«, jauchzt meine Mutter. Ich höre sie nur gedämpft in meinem Taftgefängnis. »Als Kind warst du auch immer so tollpatschig.«
»Kannst du dir die peinlichen Kindergeschichten nicht für die Hochzeit aufheben?«, motze ich, während die mir immer sympathischer werdende Verkäuferin mich mit beachtlicher Contenance aus dem Kleid schält.
»Überlege dir gut, ob du dir das wünschst.« Meine Mutter hat jetzt Oberwasser. »Da hören viel mehr Leute zu als hier.«
»Noch ein Wort, und du musst bei der Hochzeit neben Nonna sitzen«, drohe ich, als ich endlich von dem Kleid befreit bin.
Sophia Loren unterbricht mich freundlich, aber bestimmt, indem sie es mir vor die Knie hält und sagt: »In dieses Kleid muss man von oben einsteigen.«
Aha. Ist ja auch wieder super, dass niemand es für nötig hält, mir das vorher mitzuteilen.
»Ich weiß nicht recht«, sage ich unglücklich,
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