Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
wirklich.«
»Scu… Tschuldigung.«
Luisas Versuche, ihren Cousin oder Onkel zu erreichen, sind nicht von Erfolg gekrönt. Ich weiß nicht genau, was sie ihrer Verwandtschaft alles auf die Mailbox geredet hat, es war aber gewiss keine Einladung zum Kaffeeklatsch. Meine Verlobte ist ein lieber Mensch, aber man sollte sie besser nicht reizen.
Es ist schon nach acht, als ich sage: »Du Luisa, ich glaube, die haben uns vergessen.«
»Scheiße, ja.« Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit sind wir uns einig.
Ich falte die ADAC-Straßenkarte auf. Von Florenz bis Massa Marittima sind es noch hundertfünfzig Kilometer. Eine Taxifahrt wäre vermutlich astronomisch teuer. »Ich schau mal, ob ich einen Autoverleih finde.«
»Viel Glück.«
Bravo. Ein Freitag vom Feinsten. Mir ist richtig schlecht vor Müdigkeit. Und jetzt muss ich auch noch fahren. Grande. Es dauert eine halbe Ewigkeit und drei verunglückte Gespräche auf Italienisch, bis ich endlich einen Autoverleih finde. Wenn dein Hirn nicht mehr funktioniert, ist aber auch Englisch eine echte Herausforderung.
Als ich dem Typen hinter dem Counter erklärt habe, welches Auto ich wie lange brauche, antwortet der auf Deutsch: »Füllen Sie das hier aus.« Dann schiebt er ein Formular und einen Kugelschreiber in meine Richtung. Super. Ich schüttle den Kopf und mache ein paar Kreuze, hoffentlich an der richtigen Stelle.
Als ich fünfzehn Minuten später alle Formalitäten erledigt habe und der Typ bereits den Schlüssel für den Cinquecento in der Hand hält, kommt doch noch das dicke Ende. Er bedankt sich höflich. Dann sagt er: »Jetzt bräuchte ich bloß noch Ihren Führerschein, Herr Schwarz.«
»Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder?«
»Vorschrift ist Vorschrift.«
»Mein Führerschein liegt im Handschuhfach.«
»Hm.«
»In meinem Auto. Und das steht in der Tiefgarage. In München.«
»Das ist jetzt blöd.«
»Ist das alles, was Sie dazu sagen?«
»Ohne Führerschein kein Fahrzeug. So lauten die Regeln.«
In mir brodelt es, ich könnte ausflippen, bin aber doch zu müde, um die Bruchbude in ihre Einzelteile zu zerlegen. In einem allerletzten Kraftakt ziehe ich mein Handy aus der Tasche und rufe Luisa an. »Hast du deinen Führerschein dabei?«
»Nein, wieso?«
»Nur so«, antworte ich und lege auf.
»Und jetzt?«, frage ich den Typen vom Autoverleih.
Der zuckt aber nur gelangweilt mit den Schultern.
Auf dem Rückweg erkläre ich Luisa am Handy, dass ich zwar ein Auto mieten könnte, aber es nicht fahren dürfe. Ich verlaufe mich noch zweimal und finde eine Stunde, nachdem ich mich auf den Weg zum Autoverleih gemacht habe, eher zufällig meine Verlobte wieder.
Sie steht auf einem Parkplatz wild gestikulierend vor einem Reisebus. Dabei springt sie von einem Bein aufs andere. »Mark!«, schreit sie. »Hierher.« Ich schlurfe ihr entgegen. Es fühlt sich an wie die letzten Kilometer beim Marathon. »Steig ein«, befiehlt Luisa und bugsiert mich in den Bus.
»Unsere Koffer?«
»Sind schon drin.«
Ich habe keine Ahnung, wie Luisa das geschafft hat, aber ich glaube, sie ist ein Genie.
Als ich in den Bus steige, richten sich etwa vierzig Augenpaare auf mich. »Ni hao«, sage ich prompt, um das Eis zu brechen. Ich spüre, wie Luisa an meinem Hemd zupft.
»Japaner«, flüstert sie. »Keine Chinesen.«
»Domo arigato«, grüße ich also den Busfahrer, der sich bei genauerem Hinsehen aber eindeutig als Italiener entpuppt.
»Via!«, meint er.
»Was heißt todmüde?«
»Lui, e stanco morto«, erklärt Luisa dem Busfahrer.
Ich schleiche durch die Reihen, nicke höflich und setze mich ganz hinten auf den letzten freien Platz neben einer Hundertjährigen, die mich böse anguckt. »Kon’nichiwa«, sage ich lächelnd. Eine Sekunde später schließe ich die Augen.
»Aufstehen«, weckt mich Luisa und streicht mir sanft über den Unterarm.
Ganz langsam öffne ich die Augen. »Wo sind wir?«
»Da.«
»Wo da?«
»Bei Onkel Salvo.«
Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen. Wir sitzen in einem leeren Bus. »Wo sind die Japaner?«, schreie ich aufgeregt. Ist das ein Albtraum?
»Welche Japaner?«, fragt Luisa.
Ich ziehe wohl eine komische Grimasse, weil Luisa plötzlich lacht. Dann küsst sie mich. »Mein Mark«, sagt sie. »Die Japaner sind schon ausgestiegen. Gianni war so nett, uns hierherzufahren. Gib ihm doch ein kleines Trinkgeld.«
»Wer ist Gianni?«
»Unser Busfahrer.«
Beim Aussteigen drücke ich ihm zehn Euro in die Hand. Er nickt.
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