Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
quietscht und ruckelt. Luisa! Lilly reißt das Steuer herum, der Wagen stellt sich quer. O Gott, jetzt hat sie meine Frau überfahren.
»Puh«, höre ich eine gefühlte Ewigkeit später eine Stimme, Lillys Stimme.
»Das war knapp«, kommentiert Barnie die Lage trocken.
Ich nehme die Hände wieder runter, öffne ganz langsam meine Augen. Luisa steht auf der Straße, ihr Handy hält sie noch immer am Ohr. Ich springe aus dem Auto und auf sie zu. »Arschloch!«, brüllt Luisa.
»Was? Ich bin doch gar nicht gefahren.«
»Nicht du!«
»Lilly hat dich echt nicht gesehen.«
»Lilly?«
Ich zeige auf den Volvo.
»Ah, hi, wie geht’s?« Luisa beugt sich vor und winkt.
»Und selbst?«, fragt Lilly durchs offene Fenster auf der Beifahrerseite zurück.
»Arschloch«, plärrt Luisa noch mal ihr Handy an.
Ich hoffe nur, dass das Gespräch bereits beendet war.
»Wer?«, will nun auch Barnie wissen.
»Ach, mein Chef. Und sein Chef. Und eine Kollegin in Paris, die mir eigentlich zuarbeiten sollte, aber mir ständig in den Rücken fällt.«
»Der ganz normale Bürowahnsinn«, konstatiert Lilly.
»Normal ist das nicht.« Luisa schüttelt kaum merklich ihren Kopf. Ich umarme sie noch immer. »Du darfst jetzt loslassen, Mark.«
»Ja, klar. Tschuldigung.« Bin ich der Einzige, der hier unter Schock steht?
»Danke, dass ihr ihn heimgebracht habt.« Luisa deutet mit dem Kinn auf mich. »Wie war’s im Biergarten?«
»Super«, antworte ich schnell. »Und tschüss dann, Lilly, Barnie.« Ich winke, nehme meine Verlobte an der Hand und ziehe sie auf den Gehweg. »Jetzt aber schnell runter von der Straße, Süße.« In diesem Moment klingelt Luisas Handy. Sie stöhnt. »Alles klar?«
»Sorry, Mark. Ich muss da noch mal ran.«
»Ich warte oben auf dich.«
»Zieh dir schon mal was Bequemeres an.«
»Was?«
»Wie wär’s mit nix?«
Begeistert folge ich Luisas Vorschlag. Als sie eine halbe Stunde später aber immer noch nicht im Bett auftaucht, lösche ich die Kerzen, trinke das Glas Champagner in zwei Zügen leer, ziehe mir eine Hose und ein T-Shirt an und hocke mich vor den Fernseher. Im Zweiten läuft irgendeine Wiederholung.
Luisa
Natürlich wusste ich, dass dieses schick klingende Vice President eigentlich so viel heißt wie Sklaventreiber und Sklave in Personalunion . Aber vier Wochen nach der Bekanntgabe meiner Beförderung bin ich bereits völlig erschöpft. Jeden Tag ruft jemand aus dem Pariser Büro bei mir an, um mir irgendwelche Hiobsbotschaften zu übermitteln: Mein Budget wurde gekürzt. Der Finanzchef soll in einem Meeting erklärt haben, dieser begabten Deutschen würden doch sicher sechzig Prozent des bisherigen Etats voll und ganz reichen. Die Assistentin wurde von meinem Vorgänger rausgeschmissen und führt seitdem einen Rechtsstreit gegen die Firma. Eine neue Assistentin gibt es erst, wenn das geklärt ist, und damit rechnet niemand vor Jahresende. Seit dem Tag, an dem ich den Finanzchef am Telefon als Arschloch beschimpft habe – er ist Franzose und kannte das Wort glücklicherweise nicht –, bin ich drei Mal nach Paris geflogen. Dabei konnte ich mich davon überzeugen, was für ein unfähiges Team mein Vorgänger zusammengestellt hat: Einer hat keinen Funken Esprit im Leib, einer verschwindet jeden Nachmittag um vier Uhr aus dem Büro, und eine weigert sich, für mich etwas langsamer Französisch zu reden. Natürlich haben die Wichte unbefristete Verträge. Jedes Mal hatte ich weniger Lust auf die Stadt. Den Eiffelturm habe ich nur aus der Ferne gesehen. Und anstatt abends in eine nette Brasserie zu gehen, bin ich jedes Mal um elf aus dem Büro gefallen und habe eilig den nächsten fettigen Burger gesucht.
Absurderweise laufen die Hochzeitsvorbereitungen mittlerweile sowieso ohne mich. Nicht, dass Mark sich besonders einbringen würde. Den scheint das alles eher zu nerven. Aber meine Mutter hat beschlossen, dass sie sozusagen Vertretungs-Trauzeugin ist, weil mein Bruder erst am Tag vor der kirchlichen Hochzeit aus Stockholm kommen und sein Amt antreten wird. Die Einladungen sind längst raus, die Torte ist bestellt, mit der Floristin telefoniert meine Mutter fast täglich. Ab und zu ruft sie an, nennt mir drei Möglichkeiten bezüglich Trausprüchen, Blumenschmuck oder Tischordnung und lässt mich wählen. Das bekomme ich gerade noch hin.
Für Mark habe ich auch keine Zeit mehr. Dabei wirkt er alles andere als fröhlich. Morgens löffelt er muffig sein Müsli, während ich einen Kaffee
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