Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
Kind im Ferienlager immer Heimweh.«
»Woher willst du das wissen? Du warst doch nicht dabei.«
»Du hast mir und deinem Vater jeden Tag einen Brief geschrieben, in dem stand, dass du sofort nach Hause willst. Ich habe sie alle aufbewahrt.« Touché.
»Das wird ganz anders sein in Paris.« Vorsichtig ließ ich meine verkrampften Schultern kreisen. »Ich werde so viel arbeiten müssen, dass ich gar keine Zeit für Heimweh finde.«
»Kind, du sollst doch nicht so viel arbeiten.«
»Warum nicht?« Schulternkreisen, Augenrollen.
»Weil du dein Leben genießen sollst!« Der Aschenbecher schepperte, als meine Mutter ihre Zigarette offenbar viel zu fest ausdrückte. »Luisa, ich weiß, dass du diesen Job gut machen würdest. Du kannst gut organisieren, bist kreativ und wärst eine wunderbare Chefin.«
»Das klingt doch schon besser. Ich warte auf das Aber.«
»Aber ich bin nun mal der Meinung, dass das Leben nicht aus Arbeit bestehen sollte. Schau dir deinen Vater an.«
»Der hat doch auch immer viel gearbeitet!«
»Eben! Und er hat es bereut, als die Diagnose kam. Ständig hat er mir gesagt, was er alles gerne mit mir unternommen hätte. In welche Kinofilme wir nicht gegangen sind, weil er gearbeitet hat. In welche Städte wir nicht gereist sind. Wie viele Verabredungen mit unseren Freunden er abgesagt hat.«
»Mama, bitte hör auf, ich muss gleich schon wieder weinen.«
»Weine nicht, es ist doch alles gut geworden. Aber jetzt mache ich mir Sorgen um dich.« Sie seufzte.
»Brauchst du nicht, Mama. Ich komme schon zurecht.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher.«
Mark
Ich will allein sein, nachdenken. Über uns, über mich, über mein Leben. So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Ich hier, Luisa dort. Vielleicht war das mit dem Heiraten doch keine so gute Idee. Vielleicht sollte man sich nicht durch ein Gelübde – in guten wie in schlechten Zeiten – für immer aneinanderbinden. Aber nur weil man einen Ring trägt, muss man doch nicht seine Träume aufgeben. Nicht nur die Gedanken sind frei, sondern auch der Mensch in seinen Entscheidungen, wenn man mal beiseitelässt, dass die Hirnforschung das glatte Gegenteil behauptet. Natürlich ist Luisa frei, ihr Leben nach ihren Wünschen zu gestalten. Sie hat es verdient, in ihrer Firma aufzusteigen. Der Job in Paris ist wahrscheinlich nicht einmal das Ende der Karriereleiter, sondern nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach noch weiter oben. Immer streben wir nach Höherem, nach Schönerem, nach noch mehr. Warum können wir nicht einfach mit dem, was wir haben, mit dem Moment auskommen?
Ich bin gerade nicht sehr glücklich. Natürlich will ich Luisa aber auch nicht im Weg stehen. Vielleicht sollten wir erst mal die Hochzeit verschieben und abwarten, ob das mit uns auf Distanz funktioniert. So einfach ist das nämlich nicht. Wie ich es hasse, in Selbstmitleid zu baden. Andererseits: Wie viele Frauen haben ihr Leben aufgegeben, um für die Karriere ihres Mannes an einem fremden Ort ein neues Leben zu beginnen? Warum sollte das nicht mal umgekehrt laufen?
»Fremd ist der Fremde nur in der Fremde«, zitiert Barnie Karl Valentin, als ich ihm von meinen Problemen berichte. Luisa wäre sicher Albert Camus eingefallen. Aber Luisa ist nicht da. Sie macht Überstunden. Ein wahnsinnig wichtiges Meeting wegen … Ich habe es vergessen. Und ich sollte eigentlich genau jetzt in der Schüttelbude meine Muskeln trainieren, statt mit Barnie und Lilly im Biergarten auf dem Viktualienmarkt meine Leber. Wir sitzen unter den Kastanien. Es ist einer dieser großartigen Münchner Spätsommerabende. Mein Glas ist leer. Ich stehe auf und hole mir noch einen Weißwein und eine Lachssemmel. Was man halt so im Biergarten zu sich nimmt.
Als ich an unseren Tisch zurückkomme, herrscht Eiszeit. »Was ist?«, frage ich. Lilly und Barnie schmollen. »Hallo! Erde an Lilly! Erde an Barnie! Alles klar bei euch?«
»Hm«, brummt Barnie.
»Wollt ihr darüber reden?«
»Nein«, sagt Lilly energisch.
»Ja«, sagt Barnie gleichzeitig. »Der feine Herr Oberstaatsanwalt. Konstantin.«
»Was ist mit dem?« Ich verstehe nur Bahnhof und beiße verwirrt in meine Semmel.
»Hat gerade wieder angerufen. Zum zehnten Mal heute Abend.«
»Das stimmt doch überhaupt nicht«, widerspricht Lilly genervt.
»Und was will er?«, frage ich kauend.
»Das möchte ich auch gern wissen.« Barnie ist auf hundertachtzig.
Lilly stöhnt laut auf. »Fragen, wie’s mir geht.«
»Na klar.«
»Weshalb regst
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