Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
hinunterstürze und meine Mails beantworte. Wenn ich in München bin und abends nach Hause komme, ist er entweder mit Freunden unterwegs oder sitzt vor dem Fernseher. Was mich nicht mal besonders stört, denn ich kann nach der Arbeit sowieso keine sinnvollen Sätze mehr von mir geben. Mein Hirn ist wie Brei. Deshalb bin ich nicht fähig zu Widerspruch, als Marie mich eines Abends anruft.
»Hallo, Luisa. Was machst du gerade?«
»Eigentlich wollte ich gerade ins Bett.«
»Es ist erst neun.«
»Ich bin müde«, sage ich schuldbewusst. Marie hat mich schon länger nicht mehr zu Gesicht bekommen. Die letzten vier Mädelsabende habe ich abgesagt, weil ich einfach nicht mehr konnte. Deshalb halte ich meine Freundinnen seit Wochen nur noch über sehr kurze Mails auf dem Laufenden.
»Ich muss trotzdem mit dir reden.« Marie klingt ernst. Toll, so ein Gespräch darüber, dass ich unsere Freundschaft vernachlässige, kann ich jetzt wirklich gut gebrauchen.
»Es tut mir leid, dass ich immer unsere Verabredungen platzen lasse«, sage ich geknickt.
»Darum geht’s gar nicht.«
»Ach so?« Ich bin verdutzt.
»Wir machen uns Sorgen um dich. Du arbeitest nur noch. Du lässt deine Hochzeit von deiner Mutter organisieren, weil du keine Zeit dafür findest. Und für dich selbst hast du bestimmt auch keine Zeit. Wann hast du dir zum letzten Mal die Zehennägel lackiert?«
Ich werfe einen Blick auf meine nackten Füße. Ein paar rote Lackreste sind noch zu erkennen. »Na ja, ich trage meistens Ballerinas, damit sie keiner sieht.«
Marie ächzt vernehmlich.
»Das ist momentan nur eine Phase. Wenn ich den Job erst angetreten habe, wird es bestimmt leichter, weißt du.«
»Nein.«
»Wie, nein?«
»Es wird nicht leichter, Süße. Das ist ein total undankbarer Job mit einem miesen Team und einem lächerlichen Etat, du hasst den Finanzchef jetzt schon, und du willst gar nicht nach Paris ziehen.«
»Natürlich will ich nach Paris ziehen.« Sogar in meinen eigenen Ohren hörte sich das lahm an.
»Wirklich?«
Ich denke darüber nach. Zum ersten Mal überhaupt. »Nein«, sage ich schließlich.
»Willst du den Job? Mit all den Katastrophen, von denen du inzwischen erfahren hast?«
»Eigentlich wäre der Job toll, es ist nur …«
»Sag Ja oder Nein«, unterbricht mich meine Freundin herrisch.
»Nein. Nein, ich will den Job nicht.«
Ein paar Sekunden schweigen wir beide. Das kommt nicht oft vor bei uns.
»Wie fühlst du dich jetzt?«, fragt Marie.
»Leer«, antworte ich langsam, »und müde.«
»Sag den Job ab.«
»Das kann ich nicht.« Ich spüre, wie mir die Tränen kommen. »Du machst doch auch Karriere, Marie. Was soll daran falsch sein?«
»Luisa, meine Karriere besteht darin, dass ich jeden Tag ins Büro gehe, einen guten Eindruck bei wichtigen Leuten mache und dafür jedes Jahr ein bisschen mehr Geld bekomme. Aber weißt du was? Jeden Abend um sechs gehe ich nach Hause. Und wenn ich einen Mann hätte, würde ich ihn dann treffen und mit ihm zusammen essen.«
»Ist das ein Vorwurf?«
»Ja. Du hast einen guten Job hier in München. Und einen guten Mann. Und Freunde, und deine Eltern, und ein Leben. In Paris würdest du tausend Stunden pro Woch e arbeiten, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen, in den ihn andere manövriert haben. Bitte sag mir nicht, dass du das für eine gute Idee hältst.«
»Es klingt so wunderbar superheldenhaft«, sage ich wehmütig.
»Ist dir mal aufgefallen, dass Superhelden sehr einsam sind?«
Als Mark eine Stunde später nach Hause kommt, sitze ich im Halbdunkeln auf dem Sofa. »Hallo, Schatz. Alles senkrecht?«, fragt er unverbindlich.
»Ich sage den Job ab«, platze ich heraus. Mark bleibt mitten im Raum stehen und schaut mich an. Sein Gesichtsausdruck verrät nicht, ob er sich freut. Nicht mal, ob es ihn überhaupt interessiert. Ich bekomme ein bisschen Angst. »Mark?«
»Hm.« Zerstreut fährt mein Verlobter sich durchs Haar.
»Ich will nicht nach Paris. Der Job ist ein Albtraum«, sage ich kleinlaut.
»Du willst hierbleiben?«
»Ja.«
Mark wendet mir den Rücken zu und geht langsam in die Küche. Entsetzt schaue ich ihm nach. Das ist alles? Das ist jetzt die Reaktion darauf, dass ich mit ihm hierbleibe? Ich laufe ihm hinterher und lehne mich an den Türrahmen. Mark macht sich neben dem Kühlschrank zu schaffen, aber sein breites Kreuz versperrt mir die Sicht.
»Freust du dich denn gar nicht?«, frage ich verzweifelt.
»Freuen? Nein, eigentlich nicht.«
Mir verschlägt es
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