Wer ist eigentlich Paul?
Denn wenn jeder Mann bei Problemen in die Berge fahren würde, müsste man die Salzburger Autobahn zwanzigspurig ausbauen.
Da ich eine kluge und erwachsene Frau bin, unterdrückte ich brav meinen «Ich-will-dir-helfen-weil-ich-dich-gern-habe»-Reflex und beschäftigte mich zunächst damit, mir einzureden, Pauls Problem hätte nichts mit mir zu tun und alles würde wunderschön weitergehen, wenn er sich erst wieder gefangen hätte. Doch das klappte natürlich nicht. Sondern warf weitere Fragen auf. Wann wird das sein? Wird das so sein? Was, wenn nicht? Wie lange hältst du es aus zu warten, in dieser Ungewissheit? Und vielleicht hat es doch was mit dir zu tun? Aber warum sagt er dann nichts? Das ginge mich doch wirklich was an …
Schluss damit, Marie, sagte ich laut zu mir (dummerweise befand ich mich da gerade im Supermarkt vor dem Süßigkeitenregal – die Leute dachten bestimmt alle, ich hätte ein Pfefferminztaler-Suchtproblem). Lautlos fuhr ich fort: Du darfst deine Stimmung nicht immer so von den Männern abhängig machen. Das Leben hat noch viele andere Dinge zu bieten. Pfefferminztaler zum Beispiel.
Guten Mutes stürzte ich mich also ins Wochenende, ergötzte mich am Anblick der föhnbedingt zum Greifen nahen Alpen (geh weg aus meinem Kopf, Mit-Paul-in-den-Bergen-Traum!), begeisterte mich mit Vroni für antike Buchvitrinen und tat alles, wirklich alles, um mir Paul aus dem Kopf zu schlagen und gute Laune zu haben. Es klappte auch einigermaßen, und am Sonntagnachmittag war ich richtig gut aufgelegt.
Dann piepte mein Handy. Arglos drückte ich auf «Lesen». «Willst du meine Hände auf deinem Körper?» stand da. Es handelte sich hierbei um Pauls Hände.
Ja, es ist mir bewusst, dass ich diese SMS unbeantwortet hätte lassen sollen, dass sie wahrscheinlich nur aufgrund eines akuten Hormonstaus geschrieben und abgeschickt wurde und dass ich es mit 28 Jahren besser wissen sollte. Aber er hatte mir schließlich eine Frage gestellt, und die galt es wahrheitsgemäß zu beantworten.
Am Ende musste dann doch das warme Wasser meiner Badewanne genügen, um meinen Körper zu streicheln. Ich stellte mir vor, es seien Pauls Hände, und verfluchte innerlich Sturmtief Jeanett, das mir mit umgestürzten Bäumen und überfluteten Straßen einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Und ich schimpfte mit mir selbst. Weil ich durch ein paar Kurzmitteilungen von Paul beschwingter und glücklicher bin als durch den schönsten Alpenblick, die antiksten Vitrinen und alle Pfefferminztaler dieser Welt (oder zumindest meines Supermarktes).
MITTWOCH, 30. OKTOBER 2002 – WANN IST EIN MANN EIN MANN?
Letzte Nacht hatte ich den abgefahrensten Traum meines Lebens. Dagegen sind die Verfolgungsjagd durch Bangkok, mein Tête-à-tête mit Mr. Big in seinem Wochenendhaus in den Hamptons (Carrie kratzte heulend an den Jalousien) und sogar der Lotto-Sechser mit Superzahl reiner Kinderfasching.
Letzte Nacht träumte ich, ein Mann zu sein.
Ich stehe also morgens auf und gehe erst mal aufs Klo. Das macht Spaß, Pinkeln im Stehen! Hätte ich ja nie gedacht, dass das Entleeren der Blase Freude bereiten kann. Aber gut. Für einen Dienstagmorgen ganz okay.
Unter der Dusche überprüfe ich den Zustand meines Schwanzes und meiner Hoden (alles in bester Ordnung) und überlege mir, ob ich onanieren soll. Aber dann kann ich mich nicht entscheiden, welche meiner Lieblingsphantasien (Pamela Anderson nackt am Strand? Die Massenorgie in meiner Stammkneipe? Die Maskierte auf dem Faschingsball?) ich heranziehen soll und lasse es einfach. Zu anstrengend.
Ich schmeiße das nasse Handtuch in die Ecke, es wird schon irgendwann und irgendwie wieder trocknen, ziehe Jeans und T-Shirt an, verteile großzügig Gel auf meinem Kopf und prüfe das Stadium meines erblich bedingten Haarausfalls. In meiner Tabelle trage ich die aktuelle Zentimeterzahl des Abstands zwischen Augenbraue und Haaransatz ein. Mist, wieder ein Millimeter mehr. Ich bekomme eine Glatze. Ich muss an was anderes denken, sonst werde ich noch schlecht gelaunt. Hm … morgen Abend ist Fußball, Champions League, Bayern spielt. Ich werfe meinem Spiegelbild das unwiderstehliche «Großer-Junge»-Grinsen zu, das bei den Mädels so gut ankommt, und verlasse das Haus.
Auf dem Weg zur Arbeit komme ich an einem Plakat vorbei, auf dem das Konzert einer Britpop-Band angekündigt wird. Ich glaube, Tina hat mir davon erzählt und mich gefragt, ob ich mitkommen
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