Wer ist eigentlich Paul?
Besseren belehrt.
«Wohin des Wegs, schöne Frau? Darf ich dich auf einen Caipirinha einladen?» Ich blicke mich nach dem aufgetakelten Superweib hinter mir um. Doch weit gefehlt. Da ist niemand.Meint der Typ etwa mich? Vorsichtshalber ignoriere ich ihn (obwohl der gar nicht so übel aussieht und eigentlich ganz nett wirkt) und drängle mich weiter durch die Menge.
«Hey, Süße, das bringt doch nix, bleib halt einfach hier», grinst ein Mann vom Typ «Tigi-Haargel-Model», strahlt mich aus blauen Augen an und weist mir einen Barhocker zu. Ich bin perplex. Noch nie zuvor bin ich von so einem «Schneckerl», wie Beate sagen würde, angesprochen worden! Wenn ich sonst ins Lido gehe, geht dem eine einstündige Beauty-Session voraus, der Wonderbra wird eingesetzt, und mein Lippenstift harmoniert mit der Farbe meines Lidschattens. Doch kein Kerl bemerkt das je …
Als ich endlich bei meinen siegreichen Jungs angelangt bin, habe ich fünf neue Sprüche gehört und drei Handynummern zugesteckt bekommen. Ob ich diesen Grunge-Look von heute nächste Woche wieder hinkriege? Ich kann doch nicht jedes Wochenende Fußball gucken und mit Sekt duschen …
DIENSTAG, 26. NOVEMBER 2002 – WAS KOSTET DIE WELT?
Meine Mutter ruft an. Ich sehe ihre Nummer auf meinem Display und überlege, ob ich daheim bin oder nicht. Ich muss nämlich in einer Stunde los zu meiner Professorin, und das könnte knapp werden …
«Hm, ja?»
«Schnuppel?»
«Ja-haaa …»
«Gut, dass ich dich erwische. Du bist ja nie zu Hause, immer habe ich diesen grässlichen Anrufbeantworter dran!»
Auf den du nie sprichst, denke ich und sage: «Was gibt’s denn, Mama, ich muss gleich weg!»
«Hier ist ein Brief für dich angekommen!» Papierrascheln imHintergrund. «Mit der Hand adressiert und eine sehr hübsche Briefmarke! Darf ich die …» Verstärktes Rascheln.
«Klar, und bei der Gelegenheit kannst du ihn gleich öffnen und mir vorlesen!»
«Aber der ist an dich persönlich!»
«Mama …»
«Ja gut, dann mach ich ihn mal auf, Moment …» Sie legt den Hörer hin, um den Brieföffner zu holen. Manchmal frage ich mich, ob es wirklich notwendig war, meinen Eltern diese teure ISD N-Anlage mit Mobilteilen in jedem Raum zu installieren.
Es stellt sich heraus, dass es sich bei dem Brief um die Einladung zu einem Klassentreffen der Grundschule handelt. Ich rechne nach – 22 Jahre sind seit meiner Einschulung vergangen. O mein Gott. Ich bin alt.
«Schnuppel?!»
«Ja-ha?»
«Ich hab hier grad dein erstes Klassenfoto gefunden. Also, du bist ja sooooo süß darauf. So frech und pfiffig», flötet meine Mutter begeistert, und ich überlege, wann ich das Wort «pfiffig» das letzte Mal gehört habe. Ich glaube, eine Dorffriseuse aus Oberpframmern bezeichnete so den Haarschnitt, den sie mir verpassen wollte. Ich verließ damals fluchtartig den Salon und schmiss mein Geld wieder Tony & Guy in den Rachen …
«Und diese ‹Was kostet die Welt›-Körperhaltung …» Meine Mutter ist immer noch hin und weg. «Ich schick’s dir mal schnell per Mail!»
Zehn Minuten später macht mein Laptop «didldidim», und ich empfange ein sauber eingescanntes, mit Photoshop bearbeitetes und auf 40 KB runtergerechnetes Klassenfoto im jpg-Format. Ich bin verblüfft. Vor einem halben Jahr hielt meine Mutter Outlook Express noch für ein Fensterputzmittel und glaubte mit einem Browser den Kalk aus der Dusche zu kriegen. Ungern erinnere ich mich an diesen Sonntagmorgen, an dem ich gerade mit meinem damaligen TNS (Three-Night-Stand)die 8-Uhr -Potenz eines 2 0-jährigen Sportstudenten testete, als meine Mutter mich auf dem Handy anrief. Verzweifelt und den Tränen nahe. Der Bildschirmschoner war angegangen.
Und jetzt das.
Ich betrachte das Klassenfoto der 1a aus dem Jahre 1980 und frage mich, was wohl aus den anderen geworden ist. Aus meinem Schulweg-Ehepartner Michael zum Beispiel, der mich vier Jahre lang jeden Morgen abholte und jeden Mittag heimbegleitete. Vielleicht hat er inzwischen eine Agentur für Bodyguards?
Und was ist aus mir, Marie, geworden, 22 Jahre nach der Einschulung? Meine Haare sind circa 20 Zentimeter kürzer und vier Nuancen blonder. Quer gestreifte rosa Pullis trage ich nur noch (allein) im Bett. Frech bin ich nur noch, wenn ich mindestens zwei Gin Fizz intus habe. Genau genommen bin ich immer noch in der Ausbildung. Doch das kommt vom vielen Arbeiten – da bleibt nicht so viel Zeit für das Studium. Immer noch
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