Wer ist eigentlich Paul?
Kopfkissen, um von ihm zu träumen.
Und jetzt steht er vor mir und strahlt mich an! Freut sich, uns zu sehen, mich und meine Corsage. Wir quatschen ein wenig über frühere Zeiten. Ich merke, dass er noch cooler und smarter ist als damals. Er arbeitet als Richter, hmmmm, wenn ich mir ihn so in seiner Robe vorstelle … Ich erzähle aus meinem Leben, hebe den gut bezahlten Job hervor und lasse elegant unter den Tisch fallen, dass ich immer noch kein Magisterzeugnis habe. Was dann passiert, ist wie aus einer Soap, deren Autor eine mittlere Schaffenskrise hat. Der DJ legt einen langsamen Song auf, und Andi sieht mich schweigend an. Dann nimmt er mich an den nackten Schultern, dreht mich ein bisschen, bis ich mit dem Rücken zur Wand stehe, drückt mich sanft gegen letztere und küsst mich … «Nicht doch!», fährt es mir durch den Kopf, und für einen Moment flammt Pauls geliebtes Gesicht vor meinem inneren Auge auf. Doch es ist schon zu spät. Ich werde geküsst und küsse. Und das Teufelchen auf meiner Schulter (ja, genau das aus dem Lied «Jein» von Fettes Brot) sagt: «Du wolltest ihn immer haben und er dich nicht. Jetzt will er dich, also nimm ihn dir und denk nicht an Paul. Selbst schuld, wenn er sich nicht um dich kümmert. Außerdem hast du keine Beziehung mit ihm, du bist frei, also – go ahead! Der Sinn desLebens liegt im gegenwärtigen Moment!» Als das Teufelchen fertig ist mit seiner Predigt, bin ich mitten in einer wilden Knutscherei mit dem schönen Andi. Ich spüre die neidischen Blicke der umstehenden Frauen und merke, wie mir Knie und Wille weich werden …
Ich brauche eine Zigarette. Wo ist das Teufelchen heute, am Morgen danach? Allein das Engelchen (wo warst du gestern??) lässt sich blicken und guckt vorwurfsvoll. «Ja, ich weiß, was du sagen willst, also spar dir die Worte!», fauche ich es an und werfe mein Feuerzeug nach ihm. Es zieht die goldenen Augenbrauen hoch und flattert kopfschüttelnd davon. Da sitze ich nun, allein gelassen mit einer Mischung aus schlechtem Gewissen, Trotz und dem guten Gefühl, von einem umwerfenden Mann begehrt zu werden. Und es bleibt die Frage: Was genau ist noch passiert? Offensichtlich habe ich ihn nicht mit nach Hause genommen. Puh. Bei ihm waren wir auch nicht, das wüsste ich wohl noch. Ich rufe Vroni an.
«Süße, weißt du, was Andi und ich gestern … ich meine, wie weit …?», frage ich kleinlaut.
«Sachmaweissuwievieluhresis??», krächzt es aus dem Hörer, «mentmal.» Ich höre Wasserrauschen und Gurgeln. Dann Vroni, schon artikulierter: «Keine Panik. Alles im grünen Bereich. Du bist nach einer halben Stunde Knutschen umgekippt – Sauerstoffmangel, vermute ich», sie kichert ein bisschen hämisch, «und dann hat Andi uns zu dir gefahren, und wir haben dich ins Bett gebracht. Er hat deine Hand gehalten, war sehr besorgt und wahnsinnig süß. Zufrieden?»
«Hm-hm …»
Peinlich. Umgekippt. Na ja, immerhin hat mich das vor Schlimmerem bewahrt …
Das Handy piept wieder. Andi again. «Darf ich dich morgen Abend zum Essen einladen?»
Oooouuuuh. Was soll ich nur tun. Ich wollte doch morgen Paul sehen.
Apropos Paul. Wo steckt eigentlich Paul?
DIENSTAG, 17. DEZEMBER 2002 – JUCHHE AUF DER ALM
Bevor ich über mein erstes Skiwochenende dieser Saison berichte, noch ein Nachtrag zu Paul und dem schönen Andi. Ich entschied mich am Donnerstag – natürlich – für Paul. Wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Sekunde darüber nachgedacht, Glühweintrinken mit Paul (inklusive Busfahren, eiskalten Füßen, roter Nase und beschwipstem Geplappere meinerseits) gegen ein Essen mit Andi (inklusive Abgeholtwerden im BMW, dem besten Tisch im angesagtesten Lokal, edlem Wein und erlesenen Komplimenten) einzutauschen. Erstens ist Andis Welt nicht die meine (ich fühle mich in seinen Locations immer wie Aschenputtel mit zwei linken Füßen und grundsätzlich falsch gekleidet), und zweitens vermisste ich Paul schon wieder ganz schrecklich.
Ich stand also mit Paul am Glühweinstand, und wir unterhielten uns. Er sah soooo sexy aus mit seiner Wollmütze. 99 Prozent der Männer ähneln mit solch einer Kopfbedeckung auf frappierende Weise einem Mitglied der Panzerknackerbande oder lassen einen befürchten, sie könnten gleich anfangen, «Das ist mein Herz aus Glaaaa-haaas» zu singen. Nicht so Paul. Ich hätte ihn auffressen können vor Zuneigung, Bewunderung und Liebe. Gerade, als ich überlegte, ob er wohl sauer wäre, wenn
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