Wer ist eigentlich Paul?
nichts ein. Außer dass ich heute unbedingt meine Lohnsteuerkarte abgeben und die Zahnarztrechnung bezahlen muss. Das kann’s ja auch nicht sein. Vorsichtshalber stehe ich mal auf.
Als ich aus der Dusche komme, stürze ich mich nicht wie sonst so schnell wie möglich in die Klamotten, sondern bleibe nackt vor dem Spiegel stehen und betrachte mich. Es gefällt mir, was ich da sehe. Auch mal was Neues. Normalerweise finde ich immer etwas zu meckern, wenn es um meinen Körper geht. Doch heute … Ich creme mich ein und schaue dabei in den Spiegel. Gut, dass mich keiner sehen kann. Wie furchtbar narzistisch. Als ich die gute Kanebo Creme auf meinen Busen auftrage, wird mir bewusst, was los ist. Ich habe Lust. Ich fühle mich zum Bersten sexy. Ich will angesehen werden, geküsst, angepackt, berührt, ich will Sex. Jetzt. Sofort. Auf der Stelle. Nicht heute Abend und nicht heute Nacht. Jetzt, um drei viertel sieben an einem nebligen Donnerstagmorgen. Dumm nur, dass kein Mann in Sicht ist. Mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen, als ich mir vorstelle, wie es wäre, wenn jetzt einer in mein Bad treten würde. Er müsste groß sein, so groß wie Paul, blond, wenn’s geht, gut gebaut und frisch geduscht. Und nackt. AAAAAAAH. In meinem momentanen Zustand könnte ich für nichts garantieren. Nur dafür, dass der Gute diesen Morgen nie in seinem Leben vergessen würde. Ich würde ihn … Aber stopp. Marie, es ist kein Mann greifbar und schon gar nicht Paul!
So betrachtet, fühle ich mich plötzlich gar nicht mehr so gut. Irgendwie … billig wirkt meine eigene Lust plötzlich auf mich. Bin so frustriert. Unbefriedigt. Wie blöd. Nur weil ich eine allein stehende (dieses Wort!! Grässlich, ich muss dabei an alte Frauen in Seniorenwohnheimen mit lila Alpenveilchen auf dem Fensterbrett denken) Frau bin, die aus unerfindlichen Gründen donnerstagmorgens gegen sieben Lust auf Sex hat, muss ich mich doch nicht schämen. Ich spiele mit dem Gedanken, Paul eine eindeutige SMS zu schicken. Er hat das schließlich schon oft genug getan, und ich fand das immer wahnsinnig erregend. Doch ich zögere. Was, wenn er einfach nicht darauf antwortet? Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie mies ich mich dann fühlen würde. Ein triebgesteuertes Wesen. Und wer weiß, in welcher Situation ich ihn erwischen würde. Schlimmstenfalls in einer, in der er an alles denkt, nur nicht an Sex mit mir. Er könnte lachen oder den Respekt vor mir verlieren. Nein. Ich lasse das lieber. Obwohl … Wenn er jetzt Zeit hätte … Gott, was ist heute nur mit mir los? So kenne ich mich ja gar nicht!
Die Lust hält an. So einfach lässt sie sich nicht verscheuchen. Als ich im Auto ins Büro fahre (gut, dass heute ein Job-Tag ist), höre ich Radio und bin völlig verständnislos für die Themen, über die sich die Leute Gedanken machen. Weiße Weihnachten oder wieder nicht? Gans oder Ente an Heiligabend? Silvesterparty auf dem Tollwood oder am Friedensengel? Meine Herren, wie unwichtig ist das doch alles. Nebensächlichkeiten, die sich sowieso irgendwie ergeben werden. Ich, Marie, habe ein existenzielles Problem. Ich bin jung, schön, sexy, aber keinen interessiert es! Verschwendete Schönheit. Glatte, weiche Haut, die keiner anfasst. Kurven, die niemand mit den Fingern nachzeichnet. Ein knackiger Hintern, der nicht von zwei kräftigen Männerhänden umgriffen wird.
So, ich muss jetzt schleunigst an was anderes denken. Das ist ja frustrierend. Habe ich die Lohnsteuerkarte jetzt eingesteckt oder nicht? Und wo, verflixt nochmal, ist die blöde Zahnarztrechnung???
SAMSTAG, 21. DEZEMBER 2002 – DER MANN, DAS EWIGE RÄTSEL
Den schönen Andi habe ich endgültig vergrault. Ich habe ihn versetzt, angelogen und meine Schwindelei ist aufgeflogen – und das auch noch vor den Augen eines Konkurrenten. Den sehe ich nie wieder.
Davon war ich fest überzeugt, bis – ja, bis ich heute einen Anruf von ihm erhielt. Nichts ahnend ging ich an mein Handy, das nur «unbekannter Teilnehmer» anzeigte.
«Hallo, Marie, wie geht’s dir?» Er klingt fröhlich und aufgeräumt, als sei nichts gewesen!
«Oh, hallo Andi», sage ich, immer noch leicht misstrauisch. «Marie, ich weiß, es ist Samstag und du hast sicher schon was vor, aber … wenn du zufällig noch nicht verabredet sein solltest, würdest du dann mit mir auf eine Party gehen?»
Er ist tatsächlich nicht böse. Und er will mit mir weggehen. Am Samstagabend. Auf eine private
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