Wer ist eigentlich Paul?
Fernsehcouch ein bisschen den Jäger aus der Urzeit spielen kann, dann geht es ihm nicht um mich, sondern nur um das Spiel. Und solche Männer brauche ich, Marie, nicht. Ich habe so viel mehr zu bieten.
Oh, in einer Stunde schon steht Andi vor der Tür. Ich werde dieses leicht durchsichtige schwarze Oberteil anziehen. Dann ahnt er, was er eventuell haben könnte (unwahrscheinlich, aber das muss er ja nicht wissen), sieht aber nichts Genaues. Das wird sein Interesse steigern. Ich hasse dieses Spiel. Aber heute Abend werde ich es spielen. Und zwar perfekt!
SONNTAG, 22. DEZEMBER 2003 – RACHE IST GLITSCHIG
Punkt halb neun stand der schöne Andi gestern vor meiner Tür. Ziemlich lässig aussehend. Hellgraue Cargo-Hose, dunkelblauer Rollkragenpulli und die Haare gekonnt gestylt, sodass es wirkte, als käme er gerade vom Holzhacken und nicht aus seinem Design-Badezimmer.
Wir fuhren in Andis BMW zur Party-Location – ein wunderschöner Altbau in der Hohenzollernstraße in Schwabing. War ja klar. Auch klar war, dass Andi direkt vor der Tür einen legalen Parkplatz fand. Als wir das Jugendstil-Treppenhaus mit Mosaik am Boden, Stuck an den hohen Wänden und knarzenden Holzstufen betraten, wurde ich ein wenig neidisch und dachte mir, dass mein Leben bestimmt viel besser und erfolgreicherwäre, wenn jeder Tag damit beginnen würde, diese wundervolle Treppe hinunterzusteigen. Ich war also der Wohnungsinhaberin von vorneherein nicht gerade wohl gesonnen. Als sie die Tür öffnete, erfror mir mein sowieso schon künstliches Grinsen im Gesicht. Vor mir stand, im schulterfreien Abendkleid, mit Hochsteckfrisur und rotem Lippenstift – Tamara. Die meistgehasste Person meiner Schulzeit. Dass sie fünf Zentimeter größer ist als ich, fünf Kilo weniger wiegt, goldfarbene Naturlocken besitzt und ein hübsches Gesicht hat, reichte damals schon, um sie als potenzielle Freundin zu disqualifizieren. Such dir nie eine Freundin, die größer, schlanker und schöner ist als du. Das ist schlecht fürs Ego und kann dich für dein Leben negativ prägen. Aber damit nicht genug – Tamara war zudem nicht dumm und schaffte es mit List, Tücke und Wonderbra, mir Björn auszuspannen, mit dem ich damals vier Tage lang ging. Okay, es ist 14 Jahre her. Und ich bin nicht nachtragend. Aber ich vergesse nichts.
«Neiiiiiin, das giiiiibt’s ja nicht!», quiekte Tamara und platzierte ihre Hand strategisch geschickt am tiefen Ausschnitt ihres Kleides. «Mariiiiie! Dass wir uns mal wieder sehen!» Blöde Zufälle gibt’s schon, dachte ich, fühlte mich plötzlich schäbig und nackt in meinem halb durchsichtigen Oberteil und ließ widerwillig zu, dass Tamara die Luft neben meinen Ohren küsste. Ich murmelte etwas von «Du siehst toll aus», griff mir Andis Hand und zog ihn in die Wohnung.
Eine typische Party von Leuten um die dreißig. Im Hintergrund bejammerte Xavier Naidoo aus Bang&Olufsen-Boxen den Verlust seiner Freundin, in einer Ecke versammelten sich sieben Nudelsalate und vier Tiramisus zu einem traurigen Buffet, und zu trinken gab es Prosecco, Rotwein und Warsteiner. Und das in Bayern. Ich quetschte mich zu den anderen frierenden Rauchern auf den Balkon. Viele waren es nicht. Genauer gesagt,war ich dort alleine mit Tamaras furchtbar coolem 1 6-jährigen Cousin, der mir mit der selbst gedrehten Kippe zwischen den Zähnen ein lässig-knappes «Hiya» entgegennuschelte. «Hey», antwortete ich, zündete mir meine Zigarette an und schwieg eine Runde mit dem namenlosen Jungen. Irgendwann musste ich wieder rein.
Als ich in Tamaras und Jürgens (Jürgen ist ihr Verlobter, ein Immobilienmakler, der von ihr mit «Bärchen» tituliert wird) Bad stand und nachsah, was meine Haare so trieben, kam mir eine teuflische Idee. Wieder mal war sie leider nicht von mir selbst, ich sage es gleich. Ich hatte sie in einem Roman gelesen. 1 Ich nahm etwas Wet Gel (haha!) aus einer Tube und machte mich auf die Suche nach dem Schlafzimmer. Ich betrat es, schloss die Tür hinter mir und zerwühlte das sorgsam gemachte Bett. Auf dem schwarzen (!) Laken verschmierte ich den Klecks Haargel. Dann mischte ich mich wieder unters Partyvolk. Eine Rothaarige im kurzen Rock war perfekt für meinen Plan. Ohne dass sie es merkte, pickte ich ein Haar von ihrem Rücken, schlüpfte unauffällig zurück in Tamaras und Jürgens Schlafzimmer und platzierte das lange, rote Haar auf dem Kopfkissen. Ich überlegte kurz, ob ich Andi bitten sollte, Jürgen und die
Weitere Kostenlose Bücher