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Wer ist eigentlich Paul?

Wer ist eigentlich Paul?

Titel: Wer ist eigentlich Paul? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anette Göttlicher
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ihn verführen und in den Wahnsinn treiben. Da kann ich mir ja auf die Schulter klopfen. Das wäre geschafft. Leider habe ich im Eifer des Gefechts meinen vierten Vorsatz vernachlässigt. Dumm gelaufen. Sehr dumm.

DIENSTAG, 31.   DEZEMBER 2002 – PAUL VERGESSEN
    Es muss ein Ende haben. Das Jahr hat noch acht Stunden, ich bin mit 15 lieben Freunden auf einer tollen Hütte in Kärnten und habe mich gerade ein wenig in mein Bett gelegt, angeblich, weil ich müde bin und für abends «vorschlafen» möchte. In Wirklichkeit habe ich einen akuten Sehnsuchtsanfall nach Paul. Und ich sehe ein, dass es so nicht weitergeht. Ich liebe ihn, aber er will mich nicht. Er spielt mit mir, ist hauptsächlich an Sex interessiert, und all seine Liebesschwüre sind leere Worte, verursacht durch Hormonstaus und Notstände. Mir ist nämlich aufgefallen, dass er Dinge wie «Du fehlst mir so» und «Ich bin verliebt in dich» nur schreibt, wenn uns mindestens 200   Kilometer trennen. Komisch, dass ich das noch nicht früher bemerkt habe.
    Es muss ein Ende haben. Wenn Paul nicht mein Freund sein will, muss ich einen Schlussstrich ziehen. Ich mache mich sonst nur selbst fertig. Es muss ein Ende haben.
     
    Wie vergisst man einen Menschen? Wie vergesse ich Paul, wenn ich nicht mal meinem Zeigefinger befehlen kann, die Löschen-Taste zu drücken und Pauls «Ich liebe dich»-SMS in die digitalen Jagdgründe zu befördern? Wie soll ich ihn aus meinem Gedächtnis, Hirn und Herzen verbannen, wenn ich nicht mal in der Lage bin, seine Kurzmitteilungen vom Chip meines Handys zu tilgen? Das ist, als wolle jemand den Mount Everest ohne Sauerstoffgerät besteigen, der schon am Montgelasberg Atemnot bekommt.
     
    Jemanden zu vergessen ist wohl die schwierigste Aufgabe für Geist und Seele, die es gibt. Paradoxerweise sind es ja selten unangenehme Zeitgenossen, die man vergessen will. Sondern Menschen, die einem wehtun, weil man sie liebt. Und von Wollenkann eigentlich auch nicht die Rede sein. Ich will alles, nur nicht Paul vergessen. Ich will ihm nahe sein, mit ihm reden, ihn spüren, hören, riechen, schmecken und sehen, ich will ihn lieben, ihm vertrauen und mit ihm Winterreifen kaufen gehen. Ich will ihn dazu bringen, vor Lust laut zu schreien, und ich will morgens den Abdruck der Kissennaht auf seiner Wange sehen. Ich will sogar mit ihm streiten, weil meine Klamotten den Stuhl im Schlafzimmer blockieren, ich will, dass er Bratkartoffeln für mich macht und mich seinen Kumpels als seine Freundin vorstellt. Das alles und noch viel mehr   … würde ich wollen, wenn ich Pauls Freundin wär. Bin ich aber nicht. Werde ich niemals sein.
     
    Klar habe ich meinen Spaß mit ihm. Doch wenn ich mal die paar Stunden im Monat, in denen ich glücklich bin mit Paul, denen gegenüberstelle, in denen ich zweifle, vermisse, mich sehne, Angst habe, schlecht drauf bin und meine Freunde nerve, ergibt sich ein schiefes Bild. Zahlenmäßig sind die glücklichen Paul-Stunden gnadenlos unterlegen. Sicher, eine von ihnen macht locker drei schwarze Ohne-Paul-Tage gut. Und trotzdem geht die Rechnung nicht auf. Für mich zumindest nicht. Und da ich außerdem noch so was wie Stolz besitze (halt die Klappe, innere Stimme, sehr wohl besitze ich eine Menge Stolz!), sehe ich einfach nicht mehr ein, dass Paul mein Leben so sehr bestimmt, obwohl er nie präsent ist.
     
    Also: Paul vergessen!
     
    Dazu gibt es diverse Vorgehensweisen.
     
    a) Die Verdrängungs-Methode
    Jeder Gedanke an den zu Vergessenden wird konsequent zur Seite geschoben. Hilfreich ist dabei das Zerreißen von Bildern des zu Vergessenden. Ferner ist Ablenkung in Form von Unternehmungen,Reisen, Arbeit, Sport, Partys, Alkohol (aber nicht zu viel, kann zu unkontrollierbaren emotionalen Rückfällen führen, siehe Punkt C) etc. sehr förderlich. Dauer des Unterfangens: einige Wochen bis mehrere Jahrzehnte.
    Störfaktoren: Aktives Eingreifen des zu Vergessenden in den Verdrängungs- und Ablenkungsprozess durch Anrufe, SMS, E-Mails oder schlimmstenfalls persönliches Auftreten.
     
    b) Die Miesmach-Methode
    Der zu Vergessende wird konsequent schlecht gemacht. Gut geeignet zur Durchführung dieser Methode sind eingeweihte, spitzzüngige Freundinnen, die den zu Vergessenden noch nie besonders schätzten (man erkennt sie u.   a. daran, dass man von ihnen öfter den Satz «Der hat dich gar nicht verdient» zu hören bekam) und ihn fortan nur noch mit «Vollgaser», «Arschloch», «Flachwichser» oder ähnlichen

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