Wer ist eigentlich Paul?
ein flotter Käfer! Ich ignoriere, dass die Alternativen aus «Geiler Hengst», «Zuckerschnecke» und «Super-Aufreißer» bestehen. Ich jedenfalls bin ein flotter Käfer.
Der Käfer hat Spaß mit seinen Freunden und ignoriert das leise, aber penetrante Magenknurren. Zwei Weißbier müssen reichen als Nahrungsgrundlage für einen jägermeisterschwangeren Abend. Bier ist schließlich auch Nahrung, das haben schon damals vor über 800 Jahren die Mönche, nach denen unsere Stadt benannt ist, so gehandhabt.
«Marie, du musst zum DJ gehen und dir ein Lied wünschen!», säuselt Vroni mir ins Ohr, hängt sich an meine Schulter und klimpert mit den Augendeckeln zu mir herauf.
«Wieso ich?», will ich wissen. «Der DJ ist doch schwul, das sieht doch ein Blinder!»
«Äääächt?» Sie schaut erst ihn und dann mich traurig an. «Schade …» Doch lange währt die Betroffenheit nicht. «Dann muss Max gehen, auf den stehen die Männer! Maaaahaaax?!?»
Gut, dass er den vorhergehenden Satz nicht gehört hat. Ich nehme es zumindest an, sonst würde er nicht anstandslos zum DJ marschieren und Vronis Wunsch weitergeben.
Ich stelle mich auf eine etwa zweistündige Wartezeit ein. In München ist das immer so – der DJ gewährt einem gnädig das ersehnte Lied und wartet dann so lange damit, es zu spielen, bis man schon die Jacke anhat und beleidigt diesen Saftladen verlassen will. Doch schon nach drei Minuten ertönt Vronis Song!
«Hip Jeans … don’t wear blue Teens …», singt sie begeistert mit.
«Andersrum, Vroni! Hip Teens!»
«Hip Tschiens … Mit T-S-C-H wie Tscharlys Tschiens in den Münchner G’schichten! Don’t wear blue Teens …»
Ich geb’s auf. Will ja nicht pingelig erscheinen.
Uff. Ich hätte den dritten und vierten Jägermeister verschmähen sollen. Wann lerne ich, nein zu sagen? Mir ist irgendwie gar nicht gut. Ich glaube, ich geh mal kurz raus an die frische Luft.
Die wenigen Passanten, die um zwei Uhr nachts noch die Klenzestraße entlangtrotten, müssen mich für total betrunken halten. Schwer atmend, zitternd und unter Garantie leichenblass, kauere ich an der Hauswand und versuche, ruhig zu atmen. Meine Hände und Füße kribbeln, mein Gesichtsfeld ist ziemlich eingeschränkt, und mir ist, gelinde gesagt, speiübel. Aber ich bin nicht betrunken. Nur ein bisschen. Mein Kreislauf hat wieder mal leise Servus gesagt. Ich denke an die Platzwunde, die ich mir letzten Sommer auf dem Dachauer Volksfest zuzog. An dieser Narbe ist Paul schuld, weil er damals lieber die Jahrhundertflut bekämpfte und seiner Schwester half, als sich mit mir zu treffen. Folglich konnte ich vor Kummer nichts essen und habe zu viel Bier konsumiert.
Mann, vermisst mich da drin denn keiner? Will niemand nach mir sehen? Ich vergesse die guten, unzickigen Vorsätze und tue mir schrecklich Leid. Ich kollabiere hier fast, und in der Kneipe feiern sie munter weiter. Und singen Hip Tschiens.
Nach einer halben Ewigkeit tritt endlich Beate zu mir auf die Straße. Die Gute, sie hat mir meine Jacke mitgebracht. Und hält mir Händchen und schimpft, weil ich wieder mal nichts gegessen habe. Ja, Mama, äh, Beate.
Eine weitere halbe Ewigkeit später – Zeit ist relativ und besitzt momentan Kaugummi-Konsistenz – sind die anderen endlich auch da, und wir können uns zwei Taxis nehmen. Ziel ist die WG. Während der Fahrt lenkt Bernd den besorgt in den Rückspiegel schielenden Fahrer mit typischem Taxi-Smalltalk ab. «Nicht viel los wegen des Feiertags, oder? – Das ist aber ein schöner Elvis, den Sie da haben. – Ich frag mich ja immer, wie ihr das schafft, euch diese ganzen Straßen zu merken …» Der Taxifahrer antwortet höflich, aber ich weiß, was er denkt. «Schbeib mir bloß ned den Wogn voi, bsuffans Weib!» Er ist ein bayerischer Taxifahrer.
In der WG angekommen, verspricht man mir zum Wiederaufbau meiner körperlichen Kräfte eine leckere Ofenpizza «mit frei laufender Salami», wie Max beteuert. Während das Backerzeugnis im Ofen gart, soll ich mich ein wenig hinlegen.
Ich wache auf. Blinzel. Es ist dunkel und ruhig in der Wohnung. Und es riecht nach lecker Pizza mit frei laufender Salami. Der Hunger treibt mich in die Küche, normalerweise ein Ort, an dem sich zu jeder Tages- und Nachtzeit jemand aufhält. Jetzt ist sie leer bis auf ein paar Teller, auf denen ich die letzten sterblichen Überreste einer bestimmt sehr leckeren Ofenpizza ausmache. Die Schweine. Ich komme mir
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