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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjana Gaponenko
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unverändert, dafür haben wir heute Brunch im zweiten Stock.« Die Dame murmelt etwas und geht.
    Eine Gesellschaft von Festgästen latscht durch den Raum. Im Mund des Anführers steckt als Erkennungszeichen ein Holzsplitter. Ein Holzfäller?, schießt es Lewadski in den Kopf, oder eher ein Sargbauer?
    Ein Herr Sulke kommt und bittet um einen Tisch für drei Personen, Vater, Mutter, Kind. »Sulke ist mein Name«, sagt Herr Sulke mit tiefer Stimme, »wir essen und gehen.« – »Wir essen und gehen«, wiederholt er. Der Name Sulke hallt eine Weile im Raum nach.
    »Das Schlimmste, was dir passieren kann, ist ein Fleck«, belehrt der ältere Kellner seinen jüngeren Kollegen, »ein Fleck auf dem Gast, das ist das Schlimmste!«
    »Ich meine, ich gönne es jedem Mann, dass er sich die Haare färbt, aber grau ist wirklich in Ordnung«, versichert eine welke Grazie ihrer auch nicht mehr frischen Freundin. Beide verspritzen ihr Gift in Richtung eines Mannes an einem der Nischentische, dessen Haar gefärbt sein soll. Seine jüngere Begleiterin scheint sich nicht daran zu stören, liebevoll führt sie eine beladene Kuchengabel zum aufgesperrten Spatzenschnabel des Mannes. »Es ist zum Lachen«, einigen sich die Freundinnen. Es ist nichts Fröhliches an ihnen, nichts Lebensbejahendes, denkt Lewadski. Nichts gönnen sie dem Menschen, weder das gefärbte Haar noch seine Geliebte. Unter dem Vorwand eines Sonntagsfrühstücks verpesten sie die Umgebung mit ihrer Lebensverachtung.
    Mürrisch gießt sich Lewadski Tee ein, dabei fällt es der Teekanne ein, sich ihren Deckel vom Kopf zu reißen und auf den Teppichboden zu schleudern. Dort dreht er unschuldig einen Kreis und bleibt vor den Reitstiefeln einer der Freundinnen liegen. Sie hebt ihn mit zwei lackierten Fingernägeln auf und bringt ihn Lewadski, der seinerseits seinen flachen Hintern lüftet und den Deckel verlegen entgegennimmt.
    Kurz darauf gehen die beiden, auch das ungleiche Paar zahlt und geht. Der Klavierspieler ist längst schon gegangen, was dem in seine Feldstudien versunkenen Lewadski entgangen ist. Lewadski lässt die Rechnung auf sein Zimmer schreiben. Während er auf seinen Stock gestützt auf den goldenen Spiegelaufzug wartet und schweren Lids auf die korallenfarben aufleuchtenden Ziffern über dem Liftknopf schaut, 5, 4, 3, 2, 1, M, E, weiß er plötzlich, dass er es ist, der das Leben verachtet.

M
    ZIMMER / ROOM 71-86
    In seinem Zimmer atmet Lewadski tief ein. Köstlich und geschliffen ist die Luft, als würde ein kesses Weib in einem Schrank lauern, eine schmachtende Bestie mit funkelnden Ringen an den kalten Fingern. Führe mich aus, kauf mir dies und das, beschütze mich, baue mir ein Nest! Eine Erwartung ist es, die in der Luft von Lewadskis Suite liegt, eine Aufforderung, durch einen elegant arrangierten Blumenstrauß verschleiert.
    Keinem Lebewesen hat Lewadski bisher Schnittblumen geschenkt, auch bei sich in der Wohnung niemals welche stehen gehabt. Nun holen sie ihn ein und hauchen ungeniert ihr wohlriechendes Leben aus, mitten auf dem Tisch über den exotischen Früchten, auch die würde Lewadski niemals freiwillig kaufen, aus Protest und aus Treue zum einheimischen Obst. Die Blumen sterben, das ist ganz eindeutig.
    Lewadski lehnt seinen Stock gegen die halbgeöffnete Spiegeltür zum Schlafzimmer und lässt sich ächzend in einen Sessel fallen. »Auch du wirst sterben«, flüstert Lewadski zur Banane in seiner Hand, »nicht morgen, sondern jetzt. Ich esse dich, nicht weil du mir besonders gut schmeckst, sondern weil du weich bist, du alte Banane.« Als wäre das der Drohung nicht genug, nimmt Lewadski seine Druckknopfprothese aus dem Mund. Zahnlos verschlingt er die Frucht. Biss um Biss, sofern man es so nennen kann. Für den Bruchteil einer Sekunde regt sich in Lewadski die dunkle Ahnung, was Perversion ist.
    Als er immer noch kauend die Bananenschale zurück auf den Teller legt, bringt etwas den Trinkstock aus der Fassung. Mit einem dumpfen Schrei fällt er um, doch Lewadski rührt sich nicht und eilt ihm nicht zu Hilfe. »Ich bin zu alt, Kind«, sagt er zum Trinkstock. Wieder befällt Lewadski ein heftiges Herzklopfen – soeben ist ihm klar geworden, dass er mehr mit Bananen und Spazierstöcken spricht als mit den Menschen. Keine neue Erkenntnis, denkt Lewadski, steht auf und geht, ohne den Stock aufzuheben, mit weichen Knien zum Bett, wo er samt Anzug, Fliege und Schuhen unter der goldbestickten Tagesdecke verschwindet.
    Es ist nichts Neues,

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