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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjana Gaponenko
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es kein Leid in der Welt. Aber mein Gott, es ist wahr: Wer die Musik kennt, kann nicht unglücklich sein.
    Tiramisù mit Basilikumschaum und überbackenen Himbeeren , 14 Euro. Pflegte meine Mutter selig zu sagen. Weder zu mir noch zu jemand anderem sagte sie das, sondern zu sich selbst, und sie seufzte dabei tief auf mich herab.
    Die pikante Alternative: Auswahl von heimischen und importierten Käsesorten mit Nüssen und Trauben , 15 Euro. Auch ich war mal nicht höher als ein Esstisch. Was ist mit Beethoven?, hätte ich sie fragen können, wie konnte er als tauber Mann glücklich sein?
    Lewadski bestellt die Schokoladentorte. Wenige Minuten später ist sie da. Er hat sie anders in Erinnerung. Wenn er sie überhaupt in Erinnerung hat. Lewadski versenkt die Gabel im fragilen Panzer seines Tortenstücks und merkt, dass ihm heiß und schwindelig wird. Als würde eine klebrig süße Kralle in seiner butterweichen Brust wühlen. Plötzlich ist er ein Junge und sitzt in einer Lemberger Kirche im Mittagsgottesdienst. Wimmernd sitzt er auf einer harten Bank und lässt die Tränen sein Felsengesicht hinunterpoltern, er denkt nicht daran, sie wegzuwischen. Wie im Inneren einer Schmuckschatulle sitzt er in der katholischen Kirche. Er ist hier, um geborgen zu weinen, bis zur Erschöpfung, bis er ganz rein und leicht ist. Verliebt bis zum Wahnsinn, glaubt er zu schwinden, zu verkrüppeln, zu verarmen. In Tränen badet Lewadski seinKnabengesicht, in Tränen und im Selbstmitleid. »Herr, wir bekennen, dass wir sündige Menschen sind. Wir alle sind sündig vor dir«, nuschelt der Priester. Lewadski schnäuzt sich die Nase. »Und wende dein Angesicht von uns nicht ab«, bittet der Seelsorger. Tränenüberströmt schaut der kleine Märtyrer zur Decke. Der Heilige Geist ist direkt über ihm, im ewigen Emporschnellen erstarrt. Lewadski stellt sich vor, dass diese Taube auch auf ihn ein Auge hat, er kann nicht einsam sein, und er weint umso mehr. »Heilige Maria, Mutter Gottes, wir bitten dich, heilige Maria, wir bitten dich.«
    Lewadski wendet sich mit Wonne wieder seinem Tortenstück zu. Dieses Rasen muss an jenem Tag im Gottesdienst in seine Brust gefahren sein. Wie hieß denn das Mädchen? Dunja? Apolonia? Seraphina? Kann gut sein. Nicht einmal ein Name bleibt übrig. Aber dafür dieses Herzrasen. Was ist schon ein Name?
    Ein korpulenter Herr mit nach hinten pomadisiertem weißem Haar wirft die Serviette mit einem dumpfen Schlag auf den Tisch. Er will zahlen. Er zahlt und geht.
    »Sie ist auf Zypern Bridge spielen«, flüstert ein älterer Kellner dem jüngeren im Vorbeilaufen zu. »Recht hat sie«, ruft der jüngere, ohne sich umzudrehen. An seiner Stresemannhose klebt ein winziges Stück Silberfolie. Als er mit einem Tablett beladen um die Ecke biegt, wird die Folie von einer Luftströmung fortgerissen und unter einen der Tische gespült.
    Lewadskis Blick wandert durch den Raum. Die Großtanten saßen da drüben mit mir, manchmal kam die Mutter dazu. Da, wo ein junges Paar einander mit randvollen Sektgläsern zuprostet. Wie innig sie einander in die Augen schauen – ekelhaft. Die Welt um die beiden ist ein sacht plätschernder See, und sie selbst sind ein mit Blumen geschmücktes Boot. Einversinkendes. Ein peinliches. Ein rührendes. Ein in diesem Moment einzig mögliches und echtes Boot. Gleich schaut der junge Mann auf die Waden der Kellnerin und macht die Pastorale zunichte.
    Da haben wir auch gesessen, in einer der Fensternischen. Die blau gepolsterten Sitzecken sind wohl erst vor Kurzem aus den Wänden gewachsen. Damals waren es Ledersessel, und die Kaffeehäuser rochen nach einer Welt, die ernst zu nehmen war. Zauberhafte Geschöpfe mit Federboas schwebten an den Tischen vorbei. Und ich aß meine Torte und war einer dieser Engel, allein durch den köstlichen Windhauch, den ihre Boas verursachten. Ich war einer von ihnen.
    »Im Himmel bin ich aus Versehen, ich esse nichts, ich trinke nichts ... ein bisschen ... ich lese ein gutes Buch. Ich lese ein gutes Buch, und schon bin ich im Himmel aus Versehen ...« Die Stimme gehört zu den rot lackierten Nägeln einer Dame. Wie ein Ebereschenast vibriert ihre Hand, während die Dame erzählt. Sie wird wohl in meinem Alter sein. Sehr schick, ihr Pony, der ihre Stirnfalten verdeckt. Sehr geschickt. Und diese schwarzen Bögen von ungläubigen Augenbrauen. »Die Haare übers Auge, immer wollte er die Haare übers Auge haben, aber in der Nacht habe ich sie abgeschnitten.« Dunkelroter

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