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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjana Gaponenko
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Fetzen des Mundes. Spricht sie etwa über ihren Sohn? Wie sie spricht, mein Gott! Ein Bach voll weich geschliffener Kieselsteine. Was für eine Schönheit. Lewadski bestellt einen Tee. »Grün oder schwarz?«
    »Schwarz, bitte.«
    Der Anblick dieser im Kreis ihrer Familie sanft gestikulierenden Herbariumsblume macht Lewadski durstig. Die Blume wirft den Kopf in den Nacken und lacht. Kronen aus edlem Metall schimmern in ihrer feuchten Mundhöhle. Meine Güte. Was für eine Frau! Lewadski trinkt und schwitzt. Der Sohnoder Schwiegersohn schenkt der Diva etwas Wasser ein. Lauschende, leicht melancholische Gesichter um sie herum, während sie zum hundertsten Mal eine ihrer alten Geschichten aus ferner Zeit erzählt. Wie sie leuchtet! Dann geht sie. Es wird ihr in den Mantel geholfen. Noch einmal Kopf in den Nacken, noch einmal edel schimmernde Zahnkronen. Charmantes Selbstgespräch auf dem Weg zur Tür. Der Sohn oder Schwiegersohn geht voran, hinter ihr der stützende Rest der Familie. Ganz hinten ein Kind mit einem Kurzhaardackel an der Leine.
    »Ist die Dame Schauspielerin?«
    »Nein, aber sie kommt schon seit dreißig Jahren jeden Sonntag hierher.«
    »Interessant«, näselt Lewadski, der Ober ist schon am anderen Ende des Raums. »Interessant«, wiederholt Lewadski und findet sich selbst langweilig. Nichtssagend. Für den Bruchteil einer Sekunde. Schon kommt der Ober zurück. Mit der Grazie einer Libelle schwirrt der Mann von Tisch zu Tisch, rast mit wehenden Schößen durch die Tischreihen, kollidiert beinahe mit seinen beiden Kollegen, läuft durch sie hindurch.
    Da tritt mit welken Schritten ein Ehepaar an den Tisch, an dem eben die Schönheit gesessen hat. Der Herr mit Krawatte, die Dame mit Brosche an ihrem Jackett. Beide mit Zeitungen in der Hand. Nachdem sie zwei Glas Sekt bestellt haben, verstecken sie sich hinter ihrer Zeitung. Der Sekt kommt. Prosit! Die Dame drückt beim Trinken ein Auge zu, als hätte sie mit ihrem Atem Sektgischt aufgewirbelt.
    »Hier ist ein interessanter Artikel über Transsilvanien.«
    »Na ja.«
    »Ja, das interessiert mich jetzt.«
    »Die Herrschaften haben eine Wahl getroffen?«
    »Zwei Kürbiscremesuppen, ein kleines Kalbsschnitzel und ein kleines Bier.«
    »Eine Ente wäre mir noch lieber, aber die gibt es ja nicht mehr.«
    »Weißt du, warum Siebenbürgen Siebenbürgen heißt? Von den sieben deutschen Herrschaftsgebieten, die die Deutschen im 12. Jahrhundert gegründet haben.«
    »Sehr interessant.«
    »Bitte?«
    »Sehr interessant.«
    Ein Klingeln zerreißt die Stille in der Damentasche.
    »Ja, mein Schatz.«
    »Ja.«
    Wo spricht sie hin? Den streng frisierten Kopf etwas zur Seite geneigt wie eine Taube, die ihr Spiegelbild in einer Pfütze betrachtet, scheint die Dame in eine Konservendose zu sprechen.
    »Ja, mein Schatz, ja, gut mein Kind, Bussi.«
    Die Konservendose wird zugeklappt.
    Der Ehemann wartet hinter der Zeitungswand auf Erklärungen.
    »Wenn unsere Töchter kommen, kommen sie immer zu spät.«
    Der Ehemann blättert um. Sicherlich freut er sich, dass die Töchter kommen werden. Hauptsache, sie kommen. Lieber später als gar nicht. Sicherlich freut er sich. Zu Lewadski kommt niemand. Diese traurige Gewissheit lässt ihn sich dem Ehepaar überlegen fühlen.
    »Ja, die Atomkraft ist schon eine große Gefahr für die Welt, daran wird sie wohl zugrunde gehen.«
    »Sie ist jetzt höchst modern, diese Suppe. Kürbisse aus unserer Jugend, die gibt es nicht mehr.«
    »Ja, das war einmal was anderes.«
    »Die waren nie so dunkel, die Kürbisse.«
    Lewadskis Blick wandert zu einem untröstlichen Gesicht. Zwei Reihen von Perlen umschnüren den dazu gehörenden faltigen Hals. Gleich einer Blaumeise dreht die Greisin ihren Kopf, schaut sich um, bevor sie sich traut, die Gabel mit dem Tortenstück an den Mund heranzuzittern. Die andere Hand hält sie schützend darunter, kaut, schluckt und prüft dann mit kritischem Blick, ihr Kinn an die Brust gepresst, ob etwas von der Torte auf ihren Schoß gefallen ist, ihr Busen hätte die Krumen nicht mehr auffangen können.
    Das breitschultrige Rot einer Jacke fesselt Lewadskis Blick. Kaum im Türrahmen erschienen, schreitet das weibliche Wesen mit kurzem Haar auf den nächstbesten Ober zu. Beide bleiben vor Lewadskis Tisch stehen. »Gibt es heute ein spezielles Sonntagsmenü?«, will die rote Jacke wissen. Ihre Ohranhänger haben die Form eines Vogelkäfigs mit Edelsteineiern darin. »Nein«, bedauert der Ober, »die Menükarte ist

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