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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjana Gaponenko
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Mal in einer besseren Welt, ohne ein Wort zu verlieren. Ein dumpfer Schlag; wissen Sie, wie es klingt, wenn ein Kopf auf dem Parkettboden aufschlägt?«
    Lewadski schüttelt den Kopf.
    »Ein wohlklingendes Geräusch ist das, alles andere als hohl.« Herr Witzturn rührt mit einem kleinen chinesischen Sonnenschirm in seinem Glas. »Erst als ich diesen Schlag hörte, war die Spannung in meinen Schultern weg, und ich konnte spielen. Ich konnte fliegen. Ich konnte die Welt umarmen.«
    »Verstehe«, murmelt Lewadski.
    »Natürlich war ich traurig, hatte Angst und war auf einmal allein mit der Musik, deren Geheimnis ich damals zu ahnen begann. Mein Gott, ging es mir elend in diesem Augenblick. Doch etwas in mir jubelte: Ein Mensch war gestorben, ein Mensch, den ich bewunderte, hauchte seine Seele aus, in meiner Gegenwart, während ich an seinem Flügel saß. Verstehen Sie, was das heißt?
    »Ja. Khekhehke«, räuspert sich Lewadski.
    »Mein Klavierlehrer hat mir kein Wort gesagt und trotzdem eine Botschaft hinterlassen, in seinem Schweigen hinter meinem Rücken. Ein Geheimnis. Verstehen Sie?«
    »Ja.« In Lewadskis Hals steht ein Hering auf einem Bein.
    »Und nun«, setzt Herr Witzturn fort, »und nun im Konzert habe ich mich an diesen Mann erinnert. Jetzt weiß ich, welch eine große Rolle dieses Schweigen in meinem Leben gespielt hat. Ach!«, lacht Herr Witzturn auf, »was war er für ein bemerkenswerter Mensch, ich sehe ihn vor mir. Wenn ich mir überlege, dass diese Figur so lange, so unsagbar lange die Oberfläche meines Gedächtnisses nicht berührte, als hätte es sie in einem früheren oder anderen Leben gegeben, aber kaum in meinem eigenen. Ach«, Herr Witzturn schüttelt langsam den Kopf, »wenn nicht Ihr Konzert ...«
    »Und jetzt den beiden Herren an der Theke zu Ehren«, ist die Stimme des Barpianisten zu hören, »das schönste Lied der Welt!«
    Otschi tschornyjeeee. Trommel trommel trommel.
    Otschi strastnyjeeee.
    Otschi schgutschije i prekrasnyje. Aufbäumen.
    Kak ljublju ja was!
    Kak, hau in die Tasten, bbbbajus ja was!
    Znat uwidel was ja w nedobry tschas!
    »Was heißt das?« Herr Witzturn zieht an Lewadskis Ärmel.
    »Das schönste Lied der Welt, Schwarze Augen . Kennen Sie es?«
    »Ich erinnere mich vage.«
    »Nehmen Sie in diesem Fall meine Lupe«, verlangt Lewadski. »Nicht ans Auge!« Lewadski führt die Lupe in der Hand von Herrn Witzturn zu dessen rechtem Ohr. »So, und jetzt Fokus auf das Lied!« Lewadski rutscht vom Barhocker.
    »Wohin gehen Sie?«, ruft Herr Witzturn mit der Lupe am Ohr und leisem Entsetzen in der Stimme.
    »Ich nutze die Gunst der Stunde, solange es im Saal so düster ist!«, sagt Lewadski. Sein Lachen geht unter im Applaus der Bargäste, die sich, wie es sich anhört, zwischen zwei Glas Wodka gewaltig vermehrt haben.
    » Otschi tschornyje , seien Sie so lieb«, flüstert Lewadski in das welke Ohr des Klavierspielers. Der Klavierspieler nickt und lässt seine Finger auf die Tasten fallen.
    Des yeux noirs, des yeux pleins de passion!
    Des yeux ravageurs et sublimes!
    Großer Gott, denkt Lewadski, nie zuvor habe ich in der Öffentlichkeit, auch nicht für mich selbst gesungen, und nun singe ich am Abend meiner Tage in einer Fremdsprache und wackele mit den Hüften wie ein Schwanzmeisenweibchen.
    Comme je vous aime, comme j’ai peur de vous!
    Je sais, je vous ai vus, pas au bon moment!
    Lewadski legt mit nach oben gerichtetem Blick die Hand aufdie Brust, als wollte er sein Herz anhalten, sein Leben und den Lauf der Zeit, verweile Augenblick!
    Pas au bon moment ...
    ... schleudert er mit sanfter Wucht zur Decke und ballt die Hand, die eben noch auf dem Herzen ruhte, zur Faust. Sein Leben pocht darin.
    »Bravoooo!« Darauf hat Lewadski nur gewartet. Gelöst öffnet er die Faust und lässt sein Leben im Raum flattern und kleine Geschäfte auf die Köpfe des Publikums verrichten. Unbemerkt kehrt es zu seinem Herrn zurück und schlüpft ihm ins linke Hosenbein.
    »Salto! Salto! Salto!«, skandiert das Publikum.
    »Salto mortale!«, winselt eine Frau, die ihr Glas auf dem Tisch abstellt, um applaudierend ihrem Wunsch mehr Nachdruck zu verleihen.
    »Mortale! Mortale! Mortale!«, wiederholt der Chor der Bargäste.
    »Bitte, Herr Professor!«, hört Lewadski von der Theke her. Wer war das? Der Barmann oder Herr Witzturn? Ein weißer Spitz sitzt steif auf Lewadskis Barhocker. Lewadskis Stock im Maul, scheint er unbedingt Gassi gehen zu wollen.
    »Ich mache kurzen Prozess!«, ruft Lewadski

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