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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjana Gaponenko
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den Zorn der Menschen, die zu verbrüdern die Musik berufen ist – dieser Kuss der ganzen Welt? Mögen sie Gift spucken, die Kleingeister – ich bin ein Fels in diesem Sturm und neben mir, Lewadski schielt auf Herrn Witzturn, dessen Kopf auf dünnem Stiel selbstvergessen im immer kräftiger werdenden Wind hin und her schaukelt, und neben mir ein Mensch! Dasniedersausende Henkersbeil, Hexenpöbel und Hohngelächter sind nichts als gewöhnliche Klangzauberei, und doch wüsste ich gerne, woher dieser Wind kommt. Wieso fegt er die Giftzwerge nicht von ihren Sesseln, wo ich mich selbst an meinem Sessel festhalten muss, denkt Lewadski. Inzwischen hat das Schnarchen von Herrn Witzturn eine Lautstärke erreicht, die selbst den lärmenden Wirbel der Pauken und Trompeten in den Schatten stellt.
    »Das ist ja die Höhe!«
    »Raus mit den Kindern!«
    »Wo bleibt die Direktion!«
    »Proleten im Publikum.«
    »Bestimmt Ausländer.«
    Angespornt von so viel Aufmerksamkeit, schnarcht Herr Witzturn jetzt mit dem unterirdischen Bauchgrummeln der Kontrabässe um die Wette. Schnarch du nur getrost, Freund, denkt Lewadski, ich halte die Stellung. Das feindliche Feuer nehme ich auf mich.
    Lewadski legt sich auf den Boden der Loge. Von unten sehen diese Sessel aus wie Tische, denkt Lewadski. Herr Witzturn ist der Berg, der auf den Propheten zu kippen droht. Sein Schnarchen überschlägt sich, gerät ins Stocken und nimmt oratorienhafte Züge an. An Lewadski sausen Kugeln vorbei, doch er lässt sich dadurch nicht beirren. Ferne Explosionen erschüttern das Gewölbe der Loge. Ich beschütze dich, Kamerad, denkt Lewadski, ich beschütze dich ... Dass ich nie in einem Schützengraben lag, dafür habe ich mich eine Zeitlang geschämt. Und dann, Lewadski schließt die Augen, und dann kam die Zeit, als ich mich schämen musste, dass ich mal stolz darauf gewesen war, nie dort gelegen zu haben. Aber jetzt halte ich die Stellung, Herr Wrumwitz, auch im Liegen. Auch im Liegen ...
    »Herr Lewadski! Es ist Morgen.«
    »Es ist Morgen?«
    »Nein, ich scherze, es ist«, Herr Witzturn schaut auf die Uhr, »22 Uhr und elf Minuten, und das Konzert ist aus.«
    »Die Perspektive ist komisch.«
    »Sie ist komisch, weil Sie auf dem Boden liegen. Warten Sie, ich helfe Ihnen. Sie haben sich hingelegt, während ich dem exzellenten Dirigenten frenetischen Beifall spendete, selbstverständlich auch dem Orchester und dem seligen Komponisten. Da ich alle Hände voll zu tun hatte, konnte ich mich Ihnen nicht widmen, Sie werden es mir verzeihen.«
    Als Herr Witzturn Lewadski unter die Arme greift und ihm auf die Beine hilft, spürt Lewadski durch den Stoff von Herrn Witzturns Anzug dessen erschreckend ausgeprägtes Rippenklavier.
    »Wir sollten jetzt eine Kleinigkeit essen«, schlägt Lewadski vor.
    »Ja«, stimmt Herr Witzturn nach Atem ringend zu, »ich habe auch Hunger, die Musik zehrt mehr als die Meeresluft.«

4
    ZIMMER / ROOM 401-441
    »Schön, wieder an der frischen Luft zu sein!« Der Stock von Herrn Witzturn klappert zustimmend über den schwarzen, nassen Bürgersteig. Zwei Greise schlurfen eine Zeitlang schweigend nebeneinanderher, mit den Augen den Asphalt vor sich nach Stufen oder Löchern absuchend.
    »Einmal bin ich über einen Pappbecher gestolpert und habe mir dabei die Hüfte gebrochen«, bricht Lewadski das Schweigen.
    »Darüber können Sie lachen?«, fragt Herr Witzturn, »und wie konnte das überhaupt passieren? Ein Pappbecher ist doch kein Amboss!«
    »Ja«, kichert Lewadski, »in Gedanken versunken, muss ich den Pappbecher für etwas Größeres gehalten haben. Erschrocken habe ich mich vor dem Ding und bin, kurz bevor ich richtig stolpern konnte, einfach hingefallen.«
    »Sie sind mir einer«, schmunzelt Herr Witzturn, »ein schreckhaftes Rehlein. Kalzium sowie phosphathaltige Eiweiße sage ich nur.«
    »Was bringt es mir?«
    »Knochen hart wie Stahl«, sagt Herr Witzturn und niest mit einem wilden Schrei in den Rücken einer Pelzträgerin, die sofort ihre Schritte beschleunigt. »Ich weiß, wovon ich spreche«, setzt er fort, »Arthrose, Titanhüftgelenk, Komplikationen und dieser Stock.« Herr Witzturn bleibt stehen und schwingt seine Gehhilfe einige Male knapp am Seitenspiegel eines geparkten Autos vorbei. »All das wäre mir wohl erspart geblieben, wenn ich auf die Forschungsergebnisse der Medizin und auf Vitamin D in meiner Ernährung geachtet hätte.« »Sie glauben also an die gesunde Ernährung?«
    »Wer glaubt, wird selig«, lacht

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