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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjana Gaponenko
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dem Hund zu. »Sitz!«, ergänzt er und steigt, mit den Armen rudernd, auf einen einbeinigen Tisch. Nicht dass der Hund mir meinen teuren Trinkstock frisst, denkt Lewadski, und außerdem könnten die Scherben des Glasrohrs seinen Magen verletzen. Wer soll dafür haften?
    »Mor-ta-le! Mor-ta-le!«, lallen die Bargäste aufmunternd in Lewadskis Richtung.
    »Olé!« Lewadski bittet mit erhobener Hand und gerecktem Zeigefinger um Ruhe. Noch einmal blickt er zur Theke. Der Spitz scheint gewachsen zu sein, sowohl in die Höhe wie indie Breite, und steht nun, an Lewadskis Stock gelehnt, als stumme Drohung vor dem Barhocker. Nicht das gespitzt spöttische Maul irritiert Lewadski, nicht das Pfeifen, das er daraus zu vernehmen glaubt, es ist etwas anderes. Was ist es? »Großer Gott!«, ruft Lewadski, auf dem Tisch schwankend, »aus dem Ohr des Hundes wächst ja ein Sonnenstrahl! Er zielt auf mich!«
    Tanze Samba mit mir,
    Samba Samba die ganze Nacht ...
    ... singt der Klavierspieler und zwinkert Lewadski zu.
    Tanze Samba mit mir,
    weil die Samba uns glücklich macht ...
    »Was soll ich tun?«
    »Tanzen! Zeigen Sie dem Köter, dass Sie beschäftigt sind!«, raunt der Klavierspieler, während er wie aufgezogen in die Tasten haut. »Vielleicht geht er dann alleine Gassi.«
    Liebe, Liebe, Liebelei,
    Morgen ist sie vielleicht vorbei.
    Lewadski rudert auf dem Tisch wieder mit den Armen. »Nicht so«, brummt der Klavierspieler, »sonst glaubt der Hund, Sie würden ertrinken, und kommt Ihnen noch zu Hilfe.«
    Tanze Samba mit mir,
    Samba, Samba die ganze Nacht.
    Lewadski wackelt mit dem Gesäß und malt mit den Handflächen Nullen in die Luft. Als er einen vorsichtigen Blick zur Theke wirft, sticht ihm der Silbergriff seines Stocks im Wodkaglas ins Auge. »Der Hund ist weg!«, ruft er dem Klavierspieler zu, der das Lied stimmungsvoll ausklingen lässt.
    Aha aha, du bist so heiß wie ein Vulkan.
    Aha aha, und heut verbrenn ich mich daran.
    »Danke, Sie haben mich gerettet.« Lewadski, immer noch auf dem Tisch stehend, drückt dem Klavierspieler die Hand.
    »Gerne«, lächelt der, und eine weiße Haarlocke fällt ihm aus dem Mund.
    Der Hund!, schießt es Lewadski durch den Kopf. Um Zeit zu gewinnen, fragt Lewadski den Klavierspieler nach der Uhrzeit. Dessen Mund verzieht sich wieder zu einem Lächeln. Krampfhaft überlegt Lewadski, wofür er eigentlich Zeit gewinnen will.
    »Ich – trage – keine – Uhr«, sagt der Klavierspieler. Bei jedem Wort flattert ihm eine neue Haarlocke aus dem Mund. Mit weichen Knien geht Lewadski zurück an die Theke. Immer noch ist ihm sein Ablenkungsmanöver ein Rätsel.
    »Gut getanzt, Herr Professor«, lobt ihn Herr Witzturn, der jetzt wieder da ist. Sein Kopf ist ein Hundekopf, sein Körper ist Lewadskis Trinkstock, in dem dunkle Flüssigkeit hoch und nieder fährt.
    »Haltet den Dieb!«, hört Lewadski sich selbst rufen, während sich sein Gebiss verselbstständigt und aus der Mundhöhle springt. Mit einem schmatzenden Geräusch durchbeißt es die gläserne Taille von Herrn Witzturn.
    »Herr Lewadski, hallo! Ihr Brot wird warm.«
    »Entschuldigung, ich war kurz weg.«
    »Sekundenschlaf kann gefährlich sein für Autofahrer und Thekensitzer.« Herr Witzturn mustert Lewadski mit einem müden Lächeln. »Viel verpasst haben Sie nicht. Wir sitzen nach wie vor ohne Strom da, nicht wahr, Meister?«
    »Die Gäste werden langsam nervös«, verrät der Barmann, während er mehrere Gläser mit Wodka füllt. »Jeder wäre gerne auf seinem Zimmer, doch im Dunkeln traut sich niemand in die oberen Stockwerke.«
    »Die Treppe kann fatal sein.« Herr Witzturns Zeigefinger steigt eine imaginäre Wendeltreppe nach oben. »Ein Schrittzu viel oder zu wenig, und man ist im Paradies. Was allerdings nicht sicher ist«, ergänzt er nach einem großzügigen Schluck aus dem Glas.
    »Erzählen Sie lieber von Ihrem Klavierlehrer!«, bittet Lewadski.
    »Wissen Sie ...«, sagt Herr Witzturn und schließt die Augen. »Ach, es ist so lange her.« Herr Witzturn reißt die Augen wieder auf und dreht sich auf seinem Barhocker zu Lewadski. Wie nach einem tausendjährigen Schlaf taumelt sein Blick über Lewadskis Gesicht. »Heute Nacht im Konzert habe ich mich an einen Toten erinnert, und plötzlich ... ach, es ist alles unsagbar. Unsagbar!«, wiederholt Herr Witzturn.
    »Und plötzlich?«
    »Und plötzlich bin ich mir zum ersten Mal in meinem Leben sicher, dass ich gelebt habe.«
    »Ach, Herr Witzturn!« Lewadski zieht ein zerknittertes

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