Wer ist Martha? (German Edition)
versetzt«, lacht Herr Witzturn, »als ich so gierig war, die Frauen zu verstehen.«
»Ja oder nein?«
»Solche Unarten wie ja oder nein, liebst du mich wirklich, wie sehe ich aus und so weiter unterschätzte ich damals in meinem jugendlichen Größenwahn. Ich wollte immer das Ganze an einer Frau erfassen. Das war fatal.«
»Eines letztes Mal – ja oder nein?«
»Ja, in Gottes Namen, ja, ja, ja, nichts sehnlicher will ich wissen, als worin die Lehre bestand, die Ihnen Ihre selige Frau Mutter erteilte!«
»Einmal zog meine Mutter einen Vergleich, um mir zu erklären, wie man einen Vorhalt vor einem Akkord am Schluss eines Klavierstückes spielt.« Herr Witzturn bittet darum, etwas lauter zu sprechen. »Wenn ich jetzt darüber nachdenke«, räuspert sich Lewadski, »sehe ich, dass dieser Vergleich, den sie damals zog, eine Metapher für mein kleines Leben werden sollte.« Lewadski wartet vergeblich darauf, dass Herr Witzturn fragt, welcher Art dieser Vergleich gewesen sei, hüstelt und fährt fort: »Das Stück, das ich spielte, näherte sich seinem Ende, der Schluss ist ein weiches melancholisches Moll, ich aber wollte nur hinaus und spielte mit entsprechender Ungeduld, was meiner Mutter gar nicht passte. Schau, sagte sie, da oben auf dem Berg ist ein mächtiges Tor vor einem wunderschönen Schloss, du bist ein Bote und reitest auf dieses Tor zu. Aus großer Ferne hörst du, wie das alte Holztor in den Riegel fällt. So sollst du den Vorhalt spielen.«
»Auf Ihre Frau Mutter!« Herr Witzturn hebt sein Glas, neigt den Kopf und sticht sich mit dem Trinkhalm zum Glück nur in die Backe. »Nur worin die erteilte Lehre besteht, kann ich nicht sehen.«
»In der Metapher, Herr Witzturn, in der Metapher.«
»In der Metapher wofür? Und was hat das mit Ihrem Leben zu tun? Ein schönes Schloss, ein Tor, das zufällt?«
»Mein kleines Leben«, murmelt Lewadski, »ja, mein Leben, sie wollte mich vielleicht mit einer Metapher beschenken, als Gruß, als Mitgift für meine Zukunft, und ich, ich weiß nicht, was ...«
Aus der Brust von Herrn Witzturn ist ein leises Wiehern zu hören. Sein Mund ist geschlossen, die Mundwinkel zeigen auf die Erdnüsse, die den Mund verfehlt haben und nun zum Großteil zerquetscht auf dem Boden liegen. Im Kerzenschein sehen sie wie die Knochensplitter winziger Schädel aus.
»Da unten«, Lewadski deutet auf die Erdnüsse, »da unten ist ein kleines Volk, es ist grotesk, nahezu pervers, die Existenz von Zwergen zu leugnen. Märchen lügen nicht. Es gibt sie. Da unten!«
»Ach wo«, wiehert Herr Witzturn.
»Merken Sie nichts?«
»Ach was!«
»Dass wir auf unseren Stühlen in die Höhe schnellen? Und die Erde erweist sich jetzt doch als Scheibe.«
»Ich nehme noch einen Kosmonautencocktail.« Lewadski fasst sich an den Kopf. Auf Herrn Witzturns Stuhl sitzt ein rundes Frauengesicht mit purpurn gefärbtem Schmollmund.
»Hier bin ich!«
»Ach, da sind Sie«, Lewadski atmet erleichtert auf, »ich habe mich für einen Augenblick in der Richtung geirrt und dachte, Sie sind die junge Dame, die sich neben mich gesetzt hat.«
»Das Schloss in der Ferne, das mächtige Tor, dessen Riegel fällt, das Schloss, das Tor ...«, wiederholt Herr Witzturn erwartungsvoll.
»Tja«, Lewadski kratzt sich am Kopf. »Die Metapher des Schlosses ... hm. Eben wusste ich es noch. Es ist zum Verzweifeln«, jammert er, »eben wusste ich es, und jetzt, wo ich darüber sprechen will, entschlüpft es mir.«
»Gut, ein anderes Mal dann«, seufzt Herr Witzturn.
»Ich habs!«
»Ja?«
»Hhm. Eben hatte ich es.«
»Soll ich Ihnen vielleicht erklären, wie ich es sehe mit dem Schloss und dem Tor in Ihrem Leben?« Lewadski hat nichts dagegen. Herr Witzturn blinzelt ein paar Mal und fängt an zu reden.
»Nehmen Sie es mir nicht übel, aber in meinen Augen sieht die Metapher vom zufallenden Tor ziemlich profan aus.«
»Was sehen Sie denn?« Ein Speichelfetzen gerät in Lewadskis Luftröhre. Er hält sich beim Husten am Tresen fest.
»Das Bild des mächtigen Tores, das zufällt ...«, Herr Witzturn kaut an seiner Unterlippe, »es könnte der Tod sein, auf den Ihre selige Mutter Sie vorbereiten wollte.« Lewadskis Augen leuchten. »Und dass Sie als Menschenkind nicht allzu überrascht sein sollen, wenn Sie eines Tages vor diesem großen Tor stehen.« Lewadskis Wangen glühen. »Wenn es keine Lehre war, so war es auf jeden Fall ein Gruß, ein schlichter Aufmunterungsgruß. Von Mensch zu Mensch. Nun haben Sie das von einem
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